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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
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die Natur geflohen, die voll Frieden war. Und das, stellte
er fest, wollte er mehr als alles andere – nur Frieden. Noch vor kurzem hatte
er sich den Tod gewünscht und war für ihn bereit gewesen; doch jetzt hatten sie
ihm eine Ahnung vom Leben gegeben, vom alten Glück und den Dingen, die er geliebt
hatte. Grausamerweise hatten sie seine Jugend auferstehen lassen. Er wollte
allein sein, schwänzen wie ein Junge, vielleicht sich in ein Kloster
zurückziehen, Frieden für sein altes Herz haben.
    Doch sie weckten ihn mit Worten, ihren
scharfen, glänzenden Waffen.
    »Auf jetzt, König. Wir müssen uns um diese
Gänse kümmern, sonst ist die Nacht vorbei.«
    »Fühlt Ihr Euch besser?«
    »Hat jemand die Karaffe gesehen?«
    »Ihr seht müde aus.«
    »Trinkt einen Schluck Wein, bevor Ihr
geht.«
     
     
     
     
    KAPITEL 12
     
     
    Die Gegend, in die er
kam, war vollkommen flach. In der Menschenwelt sieht man kaum je etwas absolut
Flaches, Ebenes, weil dort die Bäume und Häuser und Hecken jeder Landschaft
eine gezackte Kontur verleihen. Sogar das Gras sticht mit Myriaden von Halmen
in die Höhe. Hier aber, im Bauch der Nacht, war grenzenloser flacher feuchter
Schlamm, gestaltlos wie ein schwarzer Quark. Wäre es nasser Sand gewesen, hätte
er diese kleinen Wellenzeichen gehabt, ähnlich dem Gaumen im Munde. Auf dieser
ungeheuren formlosen Fläche lebte ein einziges Element: der Wind. Denn er war
ein Element. Er war eine Dimension, eine Macht der Dunkelheit. In der
Menschenwelt kommt der Wind irgendwoher und geht irgendwohin und streicht dabei
durch irgend etwas – durch Bäume oder Straßen oder Knicks. Dieser Wind kam
nirgendwoher. Er fuhr durch das platte Nichts – nirgendwohin. Horizontal,
geräuschlos (von einem eigenartigen Dröhnen abgesehen), greifbar, ad
infinitum – so strömte das verblüffende dreidimensionale Gewicht über den
Schlamm. Man hätte es mit einer Klinge durchschneiden können . Die titanische graue Linie war unerschütterlich
und fest. Man hätte den Griff eines Regenschirms darüberhaken können, und er
wäre dort hängengeblieben. Diesen Wind im Gesicht, hatte der König das Gefühl,
nicht erschaffen zu sein. Von der feuchten Festigkeit unter seinen
schwimmhäutigen Füßen abgesehen, lebte er im Nichts, einem massiven Nichts, wie
es das Chaos ist. Es war das Gefühl eines Punktes in der Geometrie, eines
mysteriösen Daseins auf der kürzesten Entfernung zwischen zwei Punkten – oder
einer auf glatter Fläche gezogenen Geraden, die Länge und Breite hatte, doch
keine Größe. Keine Größe? Es war die personifizierte Größe. Es war Macht,
Strömung, Kraft, Richtung, ein pulsloser Weltstrom der Vergessenheit.
    Diesem Fegefeuer, dieser unheiligen
Vorhölle waren Grenzen gesetzt. Weit im Osten, vielleicht eine Meile entfernt,
war ein ungebrochener Geräuschwall. Er wogte ein wenig, brandete, schien sich
auszudehnen und zusammenzuziehen, war indessen fest und massiv. Es klang
bedrohlich, auf Opfer lüstern – denn es war das gewaltige, unbarmherzige Meer.
    Zwei Meilen im Westen waren drei
Lichtpunkte, im Dreieck angeordnet: die dürftigen Dochte in den Hütten von
Fischern, die früh aufgestanden waren, um bei Flut an einem der Priele im Watt
zu sein. Manchmal lief das Wasser dem Meer entgegen. Das war die Gesamtheit
seiner Welt: das Meeresrauschen und die drei kleinen Lichter – Dunkelheit,
Unendlichkeit, Flachheit, Feuchtigkeit und, im Schlund der Nacht, der Golfstrom
des Windes. Als der Tag warnend heraufdämmerte, stellte er fest, daß er
inmitten einer Ansammlung von seinesgleichen stand. Sie saßen auf dem Schlamm,
auf den das wütende Meer langsam wieder zurückkroch, oder schwammen schon auf
dem Wasser, das sie geweckt hatte, außerhalb der lästig brodelnden Brandung.
Die Sitzenden waren wie große Teekannen, deren Schnabelhälse unter den Flügeln
steckten. Die Schwimmenden tauchten bisweilen ihren Kopf unter und schüttelten ihn.
Einige, die auf dem Schlamm wach wurden, standen auf und schlugen heftig mit
den Flügeln. Das tiefgründige Schweigen wurde von einem schwatzhaften
Geschnatter abgelöst. Es waren ihrer an die vierhundert in dieser grauen
Nachbarschaft – wunderschöne Geschöpfe, die wilden, weißstirnigen Bläßgänse,
die niemand vergißt, der sie einmal gesehen hat. Lang ehe die Sonne kam,
machten sie sich flugbereit. Familienclans aus der Brut vom Vorjahr schlössen
sich zu Gruppen zusammen, und diese wiederum schlössen sich anderen an,
vielleicht unter dem

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