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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
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zum Beispiel.« Sie blickte belustigt drein.
    »Wie lächerlich! Meinst du, ganze
Gänseherden raufen gleichzeitig? Das möcht’ ich gern mal sehn – muß sehr
komisch sein.« Ihr Ton überraschte ihn.
    »Du möchtest gern sehen, wie sie sich
gegenseitig töten?«
    »Sich gegenseitig töten? Eine Gänseherde
soll eine andere töten?« Zögernd begann sie zu begreifen, was er meinen mochte,
und ein Ausdruck des Abscheus und der Trauer überzog ihr Gesicht. Als sie
begriffen hatte, ließ sie ihn stehn. Sie wechselte schweigend auf einen anderen
Teil des Weidegrunds.
Er folgte ihr, aber sie drehte ihm den Rücken zu. Er ging um sie herum, um ihr
in die Augen zu sehn, und ihr Widerwille erschreckte ihn, verstörte ihn – ein
Blick, als hätte er ein unsittliches Ansinnen an sie gerichtet.
    »Verzeihung«, sagte er unbeholfen. »Du
verstehst das nicht.«
    »Wir wollen nicht mehr davon reden.«
    »Verzeihung.«
    Ein Weilchen später fügte er hinzu: »Man
darf doch wohl noch fragen? Scheint mir eine ganz natürliche Frage – mit den
Posten.«
    Aber sie war wirklich wütend und weinte
fast. »Läßt du das jetzt sofort sein! Was hast du nur für eklige Gedanken! Du
hast kein Recht, solche Sachen zu sagen. Und natürlich stehn Posten da. Wegen
der Gerfalken und der Wanderfalken. Und hast du die Füchse vergessen und die
Hermeline und die Menschen mit ihren Netzen? Das sind natürliche Feinde. Aber
welche Geschöpfe könnten so tief sinken, daß sie andere ihres eigenen Blutes
ermorden?«
    Er dachte: Schade, daß die Menschen keine
größeren natürlichen Feinde haben. Wenn es genug Drachen und Vögel Rok gäbe,
würde sich die Menschheit vielleicht gegen sie wenden. Unglücklicherweise wird
der Mensch nur von Mikroben verfolgt, und die sind zu klein, um richtig gewürdigt
zu werden.
    Laut sagte er: »Ich wollte bloß lernen.«
Langsam ließ sie sich erweichen und versuchte, ein freundliches Gesicht zu
machen. Sie wollte nicht kleingeistig erscheinen. Im Grunde nämlich war sie ein
Blaustrumpf. »Da hast du noch viel vor dir.«
    »Dann mußt du mich lehren. Du mußt mir von
den Gänsen erzählen, damit mein Geist sich bildet.« Sie hatte ihre Zweifel nach
dem Schock, den er ihr versetzt hatte, doch in ihrem Herzen war sie nicht bösartig. Wie
alle Gänse war sie von einer Güte, die ihr das Verzeihen leicht machte. Bald
waren sie Freunde. »Was möchtest du wissen?«
     
    Sie verbrachten viel Zeit miteinander, und
in den nächsten Tagen stellte er fest, daß Lyo-lyok ein bezauberndes Geschöpf
war. Ihren Namen hatte sie ihm zu Beginn ihrer Bekanntschaft gesagt und ihm
geraten, daß er sich auch einen zulege. Sie hatten Kii-kwa gewählt, einen
Ehrennamen der seltenen rotbrüstigen Gänse, die sie in Sibirien kennengelernt
hatte. Als sie einander erst einmal bei ihren Namen nannten, stürzte sie sich
entschlossen auf seine Erziehung.
    Lyo-lyok war nicht nur am Flirt
interessiert. Auf ihre besonnene Art nahm sie rational Anteil an der weiten
Welt, und obgleich seine Fragen sie verwirrten, reagierte sie mit der Zeit
nicht mehr mit Abscheu darauf. Den meisten dieser Fragen lag seine Erfahrung
bei den Ameisen zugrunde, und deshalb wurde sie davon verwirrt. Er stellte
Fragen über Nationalismus, Staatsverwaltung, individuelle Freiheit, Eigentum
und so weiter, über die Dinge, deren Bedeutung im Kommunikationsraum erwähnt
oder im Ameisenhaufen deutlich geworden war. Da er ihr die meisten Begriffe
erklären mußte, bevor sie etwas erklären konnte, war es interessant, darüber zu
reden. Sie sprachen freundschaftlich miteinander, und als seine Erziehung Fortschritte
machte, empfand der überraschte alte Mann eine Art tiefe Bescheidenheit und
sogar Zuneigung gegenüber ihren Gänsen – ähnlich den Gefühlen, die Gulliver bei
den Pferden empfunden haben mußte. Nein, erklärte sie ihm: Bei den Grauen gab
es keine Staatsverwaltung. Sie hatten keinen Gemeinbesitz und erhoben keinen
Anspruch auf irgendeinen Teil der Welt. Der schöne Globus, fanden sie, konnte
keinem als sich selbst gehören, und alle Gänse hatten Zugang zu seinen
Rohmaterialien. Der einzelne Vogel mußte sich auch keiner staatlichen Disziplin
unterwerfen. Die Geschichte vom Todesurteil gegen eine Ameise, die sich
geweigert hatte, anderen Nahrung aus ihrem Kröpf zu geben, erregte ihren
Abscheu. Bei den Gänsen, erklärte sie, aß jeder, soviel er finden konnte, und
wer sich auf einem saftigen Grasflecken gütlich tat, den eine andere Gans für
sich entdeckt hatte,

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