Der König auf Camelot
als leuchtendes Beispiel für die sich
streitenden Thronanwärter und Barone seiner Tage, denen jedes Mittel recht war,
wenn es zur Macht verhalf.
Zwei Ereignisse sind es bei Malory, die
zum Zusammenbruch der idealen Weltordnung führen. Artur hat mit seiner
Halbschwester Morgause eine inzestöse Liebesaffäre, dessen Frucht Mordred ist.
Lanzelot, Arturs treuester Freund, verliebt sich in die Königin Guinevre.
Artur weiß um das ehebrecherische
Verhältnis der beiden, schweigt aber dazu, weil er fürchtet, die Aufdeckung der
Liebesbeziehung zwischen dem Freund und seiner Ehefrau werde das Ideal der
tugendhaften Ritterschaft in Frage stellen. Das Geheimnis ausnutzend, entfacht
Mordred einen Bürgerkrieg. Die Ritter der Tafelrunde müssen sich für Lanzelot
oder für Artur entscheiden. Artur verwundet Mordred in einem Zweikampf tödlich,
wird aber auch selbst schwer verwundet. Klagende Weiber schaffen ihn auf ein
Schiff, das nach Westen gen Avalon in See sticht. Malorys Text schließt mit dem
Hinweis auf Gerüchte, Artur könne in Avalon, vielleicht aber auch anderswo
begraben liegen. Sein tatsächlicher Begräbnisort erweise sich durch die
Grabinschrift: HlC JACET ARTURUS, REX QUONDAM REXQUE FUTURUS – Hier liegt
Artur, der frühere und zukünftige König. Fast fünfhundert Jahre später greift
White dieses Stichwort auf, er gibt seinem Werk den Gesamttitel »The Once and
Future King«.
KAPITEL 8
Und Merlin ?
Man könnte meinen, wir hätten Merlin aus
den Augen verloren. Dem ist nicht so.
Um Merlins Bewußtsein, seine Identität als
Zauberer, um die Zauberkräfte und magische Macht, die ihm innewohnen, deuten zu
können, muß man die Geschichte des Ruhms und des Scheiterns jener Gestalt
kennen, in der die Hoffnung auf eine gerechte Ordnung in der Welt sich
verwirklicht – Artur.
Aber ohne Merlin, den Vermittler zwischen
keltischer Magie, frühzeitlicher Weisheit und den Idealen des Christentums, ist
Arturs Aufstieg und Ruhm undenkbar. Zumindest bis Malory muß die Entwicklung
und Verwandlung des Artus-Stoffes in der westeuropäischen Kulturgeschichte
genau verfolgt werden, will man begreifen, welche Bezüge White in seiner
späten, ironisch gebrochenen Version noch einmal zusammenfaßt. Im Gegensatz zu
Malory schreibt White seinen Text angetrieben von einer Vorliebe für das frühere
ritterliche Ideal, aber auch mit dem Wissen um dessen Fehlentwicklung und deren
Ursachen.
Der Mensch ist kein nur hehres, edles
Wesen. Er ist auch geprägt von seinem Trieb, von seiner Sexualität, eine
Einsicht, die in dem vom Christentum stark beeinflußten Ideal verschleiert oder
verdrängt wird, was auf dem Weg über die Aggression der tiefere Anlaß für das
Heraufziehen immer neuer Katastrophen ist. Die Gefahr besteht: einmal könnte
nicht der »zukünftige König«, der Repräsentant des Ideals, sondern das Chaos
triumphieren. Angesichts dieser Gefahr übernimmt es Merlin bei White am
Vorabend einer Schlacht, die als Symbol für eine endzeitliche Katastrophe zu
verstehen ist, seinen geistigen Sohn Artur noch einmal zu belehren.
Gewissermaßen eine Minute vor zwölf versucht er, Artur in einen
Bewußtseinszustand zu versetzen, der ihn vielleicht doch noch zu einem Sieg
über die Kräfte des Barbarisch-Chaotischen verhilft.
Es wird in dem biographischen Bericht über
White nachzuweisen sein, wie sich in dieser Konstellation europäische
Geschichte in einer Zeit neuer Wirren spiegelt. Hier soll vorerst untersucht
werden, welche Traditionslinien das Bewußtsein Merlins konstituieren. Dazu wird
nun abermals ein Rückgriff in die Kulturgeschichte notwendig werden.
KAPITEL 9
Als zwischen 1136 und 1138 die in
lateinischer Sprache abgefaßte »Geschichte der britischen Könige« des Geoffrey
von Monmouth erschien, muß, wie Inge Vielhauer in ihrer »Einleitung in die Vita
Merlini« über die Ursprünge der Merlin-Gestalt schreibt, damals in der
anglo-normannischen Oberschicht und bei den Gebildeten ein großes Interesse an
Merlin erwacht sein.
Zehn Jahre später jedenfalls
veröffentlicht Geoffrey von Monmouth ein in Hexametern gehaltenes Versepos,
eben jene »Vita Merlini«, die früheste literarische Fassung der zuvor nur in
mündlicher Überlieferung kursierenden keltischen Mythen und Sagen. Inge
Vielhauer urteilt über das von ihr in Prosa übersetzte Werk:
Bleibt in der »Historia« hinter den
Prophezeiungen die Gestalt des Sehers selbst unpersönlich, kalt und glanzlos,
so tritt sie uns in der »Vita «
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