Der König auf Camelot
haben schien, und fragten ihn, wohin die Lichtungen
führten. Sie fragten ihn zwei-oder dreimal, ehe sie konstatierten, daß er taub
oder blöd sein müsse, wenn nicht gar beides. Er reagierte nicht.
»Komm, weiter«, sagte Kay. »Der ist bestimmt so bekloppt
wie Wat und weiß nicht, wo’s lang geht. Komm, laß den armen Irren in Ruh. Wir
gehn weiter.«
Sie gingen ungefähr eine Meile, und immer noch
war’s gutes Gehen. Einen Pfad oder eine Schneise gab es eigentlich nicht, und
die Lichtungen gingen nicht ineinander über. Wer zufällig hierher kam, mußte
annehmen, daß es nur die eine Lichtung gab, auf der er sich gerade befand,
einige hundert Schritt lang, bis er an ihr Ende kam und eine neue entdeckte,
die von ein paar Bäumen abgeschirmt wurde. Dann und wann stießen sie auf einen
Stumpf, dem man ansah, daß hier eine Axt am Werk gewesen war, doch meist waren
die frischen Stümpfe sorgfältig mit Laub und Zweigen überdeckt, sofern man sie
nicht ausgegraben hatte. Wart kam zu der Überzeugung, daß die Lichtungen
geschlagen worden waren.
Am Rand der nächsten Blöße packte Kay den Arm von
Wart und wies stumm auf die gegenüberliegende Seite. Dort war eine
grasbewachsene Erhebung, die sanft anstieg, und auf der Höhe wuchs eine
gigantische Sykomore, ein gut und gern neunzig Fuß hoher Bergahorn. Am Hang
lagerte sich ein gleichfalls riesiger Mann mit einem Hund. Der Mann war nicht
weniger bemerkenswert als der Baum, denn er mußte, ohne Schuhe, an die sieben
Fuß messen. Er trug einen Kilt aus Lincoln-grünem Kammgarn – nichts weiter. Am
linken Unterarm hatte er einen Lederschutz. Sein gewaltiger brauner Brustkasten
diente dem Hund als Kopfkissen – der hatte die Ohren gespitzt und beobachtete
die beiden Jungen, regte sich sonst jedoch nicht –, und der Brustkasten hob und
senkte sich bei jedem Atemzug. Der Mann schien zu schlafen. Neben ihm lag ein
Sieben-Fuß-Bogen mit etlichen ellenlangen Pfeilen. Seine Haut war
mahagonifarben, wie die des Holzfällers, und die gekräuselten Haare auf seiner
Brust schimmerten golden, wenn die Sonne sie streifte.
»Das ist er«, flüsterte Kay aufgeregt.
Zaghaft und zögernd gingen sie auf den Mann zu, immer
in Angst vor dem Hund. Der Hund aber folgte ihnen nur mit den Augen und hielt
sein Kinn fest auf die breite Brust seines geliebten Herrn gepreßt und wedelte
andeutungsweise mit der Schwanzspitze. Er bewegte seinen Wedel, ohne ihn zu
heben, einen Fingerbreit im Grase hin und her. Der Mann öffnete die Augen – er
hatte offenbar gar nicht geschlafen – und lächelte die Jungen an; mit dem
Daumen machte er eine Bewegung, die sie weiter ihres Weges wies. Dann hörte er
auf zu lächeln und schloß die Augen.
»Tschuldigung«, sagte Kay. »Und was ist da?«
Der Mann gab keine Antwort und hielt die Augen geschlossen,
hob jedoch noch einmal den Arm und wies sie mit dem Daumen weiter.
»Du, das heißt eindeutig: der Nase nach«, sagte
Kay.
»Wenn das mal nicht ein Abenteuer ist!« sagte Wart.
»Ich würde mich nicht wundern, wenn der doofe Holzfäller
auf den großen Baum gestiegen wäre, an dem er saß, und diesem Baum hier die
Nachricht übermittelt hätte, daß wir im Anzug sind. Erwartet hat man uns hier
doch auf jeden Fall.«
Bei diesen Worten öffnete der halbnackte Riese ein
Auge und betrachtete Wart mit einigem Erstaunen. Dann öffnete er beide Augen,
lachte über das ganze große gutmütige Gesicht, richtete sich auf, tätschelte
den Hund, nahm seinen Bogen in die Hand und erhob sich zu voller Größe.
»Na gut denn, Ihr jungen Herrn«, sagte er,
weiterhin lachend. »Da sin’ wir euch schließlich noch eins voraus. Na ja, gut
Ding will Weile haben.«
Kay blickte ihn verdutzt an. »Wer seid Ihr?« fragte
er.
»Naylor«, sagte der Riese. »John Naylor in’ner
weiten Welt, bis daß wir in’n Wald gekommen sin’. Da hat’s ein Weilchen John
Little geheißen, in’ Wald un’ so, aber die meisten tun’s jetzt rumdrehn un’
sagen Little John.«
»Oh ja!« rief Wart entzückt. »Ich habe schon von
Euch gehört, oft sogar, wenn sie abends Saxen-Geschichten erzählen, von Euch
und Robin Hood.«
»Nich’ Hood«, sagte Little John tadelnd. »So heißt
man ein’ doch nich’, Herr, nich’ im Walde. Wood – wie der Wald, wo du
durchlaufen tust. Is’ sich doch ein’ Name, mächtig un’ prächtig.«
»Robin Wood! Robin Wald!«
»Klar. Wie sons’ sollt’ er heißen, wie er sie
beherrschen tut, die Wälder, die freie Wildbahn. Schlafen wir drin,
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