Der König auf Camelot
schlecht reden hören, kein Grund also, seine Späher schlecht
zu behandeln. Wie geht’s euch, Kay und Wart, und wer hat euch auf meine
Waldblößen angesetzt – ausgerechnet heute?«
»Robin«, unterbrach ihn das Mädchen, »die kannst du
nicht nehmen!«
»Warum nicht, mein süßes Herz?«
»Es sind doch Kinder.«
»Genau das, was wir brauchen.«
»Es ist unmenschlich«, sagte sie tadelnd und
ordnete ihr Haar.
Der Geächtete hielt es augenscheinlich für geraten,
sich nicht mit ihr anzulegen. Er wandte sich den Jungen zu und stellte ihnen
eine Frage. »Könnt ihr schießen?«
»Das will ich wohl meinen«, sagte Wart.
»Ich kann’s versuchen«, sagte Kay etwas
zurückhaltender, da Warts selbstsichere Antwort Lachen hervorgerufen hatte.
»Komm, Marian, gib mal einen von deinen Bogen.«
Sie reichte ihm einen Bogen und ein halbes Dutzend
Pfeile, achtundzwanzig Zoll lang.
»Schieß auf den popinjay «, sagte Robin und
gab sie an Wart weiter.
Der sah sich um und entdeckte in einer Entfernung
von fünf mal zwanzig Schritt einen künstlichen Vogel auf der Stange. Er merkte,
daß er den Mund zu voll genommen hatte, und sagte fröhlich: »Tut mir leid,
Robin Wood, aber ich fürchte, das ist viel zu weit für mich.«
»Macht nichts«, sagte der Geächtete. »Probier’s
ruhig. Ich will nur sehen, wie du schießt.«
Wart paßte den Pfeil ein, so flink und gewandt er’s
vermochte, stellte sich breitbeinig hin, und zwar so, daß die verlängerte Linie
seiner Füße aufs Ziel wies, reckte die Schultern, zog die Sehne ans Kinn,
visierte das Ziel an, hob die Pfeilspitze in einem Winkel von etwa zwanzig
Grad, zielte zwei Schritt nach rechts, weil er beim Abschnellen immer ein
wenig nach links abkam, und ließ den Pfeil sausen. Er schoß zwar daneben, aber
nicht weit.
»Kay, jetzt du«, sagte Robin.
Kay traf die gleichen Anstalten und erzielte
ebenfalls ein gutes Ergebnis. Beide hielten den Bogen in der richtigen Höhe,
fanden sofort die Hahnenfeder und setzten sie außen an, beide hielten die
Sehne, um den Bogen zu spannen – die meisten ungeübten Jungen halten beim
Spannen die Kerbe des Pfeils mit Daumen und Zeigefinger, aber ein richtiger
Bogenschütze zieht die Sehne mit den ersten zwei oder drei Fingern zurück und
läßt den Pfeil nachkommen –, keiner ließ die Pfeilspitze nach links abweisen
oder kam mit der Bogensehne an den linken Unterarm – zwei weitverbreitete
Fehler bei Unerfahrenen – , und beide hatten nicht durchgerissen.
»Gut«, sagte der Geächtete. »Keine Lautenspieler.«
»Robin«, sagte Marian energisch, »du kannst die Kinder
nicht der Gefahr aussetzen. Schick sie nach Haus zu ihrem Vater.«
»Das werde ich nicht tun«, sagte er, »wenn sie’s
nicht selber wollen. Es ist ihre Sach’, so gut wie meine.«
»Worum geht’s denn?« fragte Kay.
Der Outlaw warf seinen Bogen hin, setzte sich auf
die Erde und zog Marian, die Maid, neben sich nieder. Sein Gesicht zeigte eine
gewisse Ratlosigkeit.
»Es geht um Morgan le Fay. Aber das ist schwer zu
erklären.«
»Ich würd’s gar nicht versuchen.«
Robin drehte sich ärgerlich zu seiner Geliebten um.
»Marian«, sagte er, »entweder nehmen wir ihre Hilfe
in Anspruch, oder wir lassen die andern drei im Stich. Ich bitte die Jungen
nicht gern, dorthin zu gehen, aber ich muß es tun, sonst ist Tuck ihr
ausgeliefert.«
Wart hielt es für an der Zeit, eine taktvolle Frage
zu stellen, also räusperte er sich höflich und sagte: »Bitte, wer ist Morgan le
Fay?«
Alle drei antworteten gleichzeitig.
»Sie is-ne Schlimme«, sagte Little John.
»Sie ist eine Fee«, sagte Robin.
»Nein, ist sie nicht«, sagte Marian. »Sie ist eine
Hexe.«
»Im Grunde«, sagte Robin, »weiß niemand genau, was
sie ist. Meiner Meinung nach ist sie eine Fee. – Und diese Meinung«, so fügte
er, Marian fixierend, hinzu, »halte ich aufrecht.«
Kay fragte: »Meint Ihr, sie ist so eine, die eine
Glockenblume als Hut aufhat und immer auf giftigen Pilzen sitzt?«
Es gab ein großes Gelächter.
»Nicht die Spur. Solche Geschöpfe gibt es nicht.
Die Königin ist wirklich und leibhaftig – und gefährlich.«
»Wenn die Jungen schon mitmachen müssen«, sagte Marian,
»dann solltest du’s ihnen von Anfang an erklären.«
Der Geächtete holte tief Luft, streckte seine
Beine, und auf seinem Gesicht zeigte sich wieder dieser ratlose Ausdruck.
»Je nun«, sagte er. »Nehmen wir einmal an, daß Morgan
die Königin der Feen ist oder jedenfalls irgend etwas mit
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