Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
Vom Netzwerk:
ihre schrillen
Töne geigten, die fast außerhalb des Hörbereichs lagen, wie der Ruf der
Fledermaus. Sie zirpten hundertfach als Antwort auf Marians dreimaliges Zirpen
(für Kay und für Wart und für sich selber). Alle Geächteten waren versammelt,
und es war Zeit aufzubrechen.
    Es gab ein leises Rascheln, so, als hätte sich der
Wind in den letzten Blättern der neunhundertjährigen Eiche geregt. Dann klagte
ein Käuzchen; eine Feldmaus pfiff; ein Kaninchen trommelte; ein Fuchsrüde stieß
sein einsames heiseres Bellen aus; eine Fledermaus flatterte über ihren Köpfen.
Wieder raschelten die Blätter, diesmal länger, so daß man bis hundert zählen
konnte, und dann war Maid Marian, die das Trommeln besorgt hatte, von ihrer
Truppe umgeben: zwanzig plus zwei. Wart merkte, als sie im Kreise standen, daß
rechts und links von ihm ein Mann seine Hand ergriff, und dann wurde ihm
bewußt, daß das Streichkonzert der Zikaden wieder begonnen hatte. Es bewegte
sich ringförmig fort, auf ihn zu, und als der letzte Grashüpfer seine Beine
aneinander rieb, drückte ihm der Mann zur Rechten die Hand. Wart zirpte. Sogleich
tat der Mann zu seiner Linken dasselbe und drückte ebenfalls seine Hand.
Zweiundzwanzig Zikaden waren bereit, unter Maid Marians Führung durch die
Stille zu stapfen.
    Der letzte Teil der Pirsch ähnelte einem Alptraum.
Wart aber fand’s himmlisch. Plötzlich schwebte er in der Verzückung der Nacht
und spürte, daß er körperlos war, schwerelos, lautlos, entrückt. Er hatte das
Gefühl, als könne er zu einer säugenden Häsin hingehen und sie bei den Löffeln
nehmen, ehe das pelzige und mit den Läufen schlagende Tier seine Gegenwart bemerkte.
Er hatte das Gefühl, als könne er zwischen den Beinen der Männer zur Rechten
und zur Linken hindurchlaufen oder ihnen die glitzernden Dolche aus der Scheide
ziehen, während sie sich wachsam weiterbewegten. Das erregende Gefühl
verschwiegener nächtlicher Verzauberung war wie Wein in seinem Blut. Seine
Kleinheit und Jugend ermöglichten es ihm, sich ebenso verstohlen fortzubewegen
wie die Krieger. Ihr Alter und ihre Körpergröße machten sie, trotz ihrem wald-
und waidmännischen Können, zu unbeholfenen Bäumen, während er, obwohl
unerfahren, flink und beweglich war.
    Insgesamt war es, sah man von der Gefährlichkeit
ab, eine leichte Pirsch. Das Unterholz lichtete sich, und der verräterisch
raschelnde Adlerfarn wuchs auf dem moorigen Boden nur spärlich, so daß sie mit
dreifacher Geschwindigkeit voranschreiten konnten. Traumumfangen eilten sie
dahin, ohne Eulengeheul und Fledermauskreischen, einzig zusammengehalten vom
notwendigen Paßgang, den der schlafende Wald ihnen auferlegte. Einige von
ihnen waren ängstlich, andere rachsüchtig wegen eines Kameraden, und etliche
entleiblicht in der Verschwiegenheit ihres Nachtwandeins.
    Sie mochten zwanzig Minuten dahingeschlichen sein,
da gebot Maid Marian ihnen Halt. Sie wies zur Linken.
    Keiner der Jungen hatte das Buch von Sir John de
Mandeville gelesen, deshalb wußten sie nicht, daß ein Greif achtmal größer ist
als ein Löwe. Als sie nun, im schweigenden Nachtdunkel, zur Linken blickten,
sahen sie etwas vor dem Himmel und vor den Sternen stehen, das sie nie für
möglich gehalten hätten. Es war ein junger männlicher Greif im Kleingefieder.
    Von vorne wirkte er, mit den Schultern und den behosten
Vorderbeinen, wie ein überdimensionaler Falke. Der gekrümmte Schnabel, die
langen Flügel mit der markanten Fingerung, dazu die mächtigen Fänge: alles war
gleich, nur insgesamt, wie Mandeville bereits bemerkte, achtmal größer als ein
Löwe. Hinter den Schultern begann die Veränderung. Wo ein normaler Falke oder
Adler sich mit zwölf Stoßfedern begnügen würde, ging Falco leonis serpentis in einen Löwenleib über, mit den Hinterläufen des afrikanischen Tieres, und
überdies mit einem Schlangenschwanz. Die Jungen sahen, vierundzwanzig Fuß hoch
im mysteriösen Nachtschein des Mondes, das schlafende Haupt auf die Brust
gebeugt, so daß der unheilbringende Schnabel im Brustgefieder ruhte, einen
echten Greif – ein Anblick, der mehr wert war als der von hundert Kondoren. Sie
holten Luft durch die Zähne und eilten erst einmal weiter, speicherten die
übernatürlichen Schreckensvision in den Kammern des Gedächtnisses.
    Endlich näherten sie sich dem Schloß. Die Outlaws
mußten haltmachen. Kay und Wart indessen gingen, nachdem ihr Hauptmann ihnen
stumm die Hand gegeben hatte, durch den sich lichtenden Wald

Weitere Kostenlose Bücher