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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
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nicht
zu wissen, wohin sie gehörten. Nein, eher so: sie wußte zwar, daß eine gewisse
Ordnung gefordert wurde, nur wußte sie nicht, wie diese zu bewerkstelligen
sei. Das Ganze glich der Situation eines Mannes, der in der einen Hand eine
Teetasse hält und in der anderen ein Sandwich – und der sich nun mit einem
Streichholz eine Zigarette anzünden will. Wo aber der Mann auf die Idee kommen
würde, Tasse und Sandwich abzustellen und hinzulegen, ehe er die Zigarette und
das Streichholz aufnimmt – da hätte diese Ameise das Sandwich hingelegt und
das Streichholz aufgenommen; dann wäre das Streichholz unten gewesen und die
Zigarette oben; und schließlich hätte sie das Sandwich hingelegt und das
Streichholz aufgehoben. Sie mußte sich auf eine Serie von schieren Zufällen
verlassen, um ihr Ziel zu erreichen. Sie hatte Geduld und dachte nicht. Als
sie die drei toten Ameisen in verschiedene Richtungen gezerrt hatte, lagen sie
schließlich und endlich in einer Reihe unter der Erdscholle, und das war die
Aufgabe.
    Wart beobachtete erstaunt das
Hin-und-her-Arrangie-ren. Zuerst wunderte er sich, dann ärgerte er sich, und
zum Schluß wurde er wütend. Am liebsten hätte er gefragt, weshalb sie sich die
Sache nicht vorher überlege. Er hatte das bedrückende Gefühl, das einen
überkommt, wenn man zusehen muß, wie eine Arbeit täppisch angefaßt wird.
Später hätte er gern mehrere Fragen gestellt, zum Beispiel: »Bist du gern
Totengräber?« oder »Bist du ein Sklave?« oder gar: »Bist du glücklich?«
    Das Sonderbare war, daß er diese Fragen nicht
stellen konnte. Um sie stellen zu können, hätte er sie in Ameisensprache
formulieren und durch seine Antennen-Fühler aussenden müssen – und mit einem
Gefühl der Hilflosigkeit entdeckte er jetzt, daß es für die Dinge, die er
sagen wollte, keine Wörter, gab. Es gab keine Wörter für Glück, für Freiheit,
für Neigung – und keine Wörter für das jeweilige Gegenteil. Er kam sich vor wie
ein Taubstummer, der »Feuer« rufen möchte. Nicht einmal »richtig« oder
»falsch« konnte er hinlänglich ausdrücken – es wurde nur ein »getan« oder
»nicht getan« daraus.
    Die Ameise hörte auf, mit den Leichen herumzuwirtschaften,
und wandte sich zum Gehen; die Toten blieben in der zufälligen Ordnung liegen.
Da stellte sie fest, daß Wart ihr im Wege war, also hielt sie inne und bewegte
ihre Funk-Antennen auf ihn zu, als wäre sie ein Panzer. Mit ihrem stummen,
drohenden Helm-Gesicht und ihrer Haarigkeit und den spornähnlichen Dingen an
ihren vorderen Beingelenken wirkte sie allerdings eher wie ein Gewappneter
auf einem gepanzerten Schlachtroß – oder wie eine Kombination von beidem: ein
haariger Kentaur in voller Rüstung.
    Wieder sagte sie: »Heil, Barbaras!«-»Heil!«
    »Was tust du?«
    Der Junge antwortete wahrheitsgemäß: »Ich tu gar
nichts.«
    Dies brachte sie erst einmal völlig außer Fassung,
wie es unsereinem erginge, wenn Einstein einem plötzlich seine neuesten
Weltraum-Theorien erklären würde. Dann fuhr sie die zwölf Glieder ihrer Antenne
aus und sprach an ihm vorbei ins Blaue.
    Sie sagte: »IO5978/UDC von Feld fünf. Auf Feld fünf
befindet sich eine wahnsinnige Ameise. Bitte kommen.«
    Für >wahnsinnig< verwendete sie das Wort
»nicht getan«. Später entdeckte Wart, daß es in der Sprache überhaupt nur
zwei Qualifikationen gab: getan und nicht-getan – die auf alle Fragen von Wert
angewendet wurden. Wenn die Samen, die die Sammler fanden, süß waren, dann
waren es Getan-Samen. Waren sie aber mit Sublimat behandelt worden und geätzt,
dann waren es Nicht-getan-Samen, und damit hatte sich’s, basta. Sogar
>Mund<, >Mammy<, >All< und so weiter, was immer in den
Sendungen vorkam, war hinlänglich damit beschrieben, daß es als >getan<
bezeichnet wurde.
    Nach einer Pause in der Übertragung sagte die
klangvolle Stimme: »G.H.Q. an IO5978/UDC. Was für eine Nummer hat sie? Bitte
kommen.«
    Die Ameise fragte: »Was für eine Nummer hast du?«
    »Ich weiß nicht.«
    Als diese Meldung dem Hauptquartier durchgegeben
worden war, kam die Anfrage zurück, ob er Rechenschaft über sich ablegen könne.
Die Ameise fragte ihn. Sie verwendete die gleichen Wörter, welche die
Funk-Stimme gebraucht hatte, sogar mit demselben Tonfall. Dies machte ihn
sowohl ängstlich als auch ärgerlich, was ihm beides nicht paßte.
    »Ja«, sagte er sarkastisch, denn es war
augenscheinlich, daß dies Wesen kein Gespür für Sarkasmus hatte, »ich bin auf
den Kopf gefallen

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