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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
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afrikanischen Küste. Sie sind belligerent.«
    »Ich weiß nicht, was belligerent ist.«
    Jenseits der Tür herrschte Schweigen.
    »Nun ja«, sagte Merlin schließlich. »Es ist noch
viel zu früh dafür. Aber einmal mußt du’s ja doch tun. Laß mich überlegen. Sind
da zwei Nester in diesem komischen Dings?«
    »Es sind zwei Paar Scheiben.«
    »Nimm eine Binse vom Boden und leg sie zwischen die
beiden Nester, wie eine Brücke. Hast du das getan?«
    »Ja.«
     
    Die Gegend, in der er sich befand, wirkte wie ein
großes Geröllfeld mit einer abgeflachten Festung am einen Ende – zwischen den
Glasscheiben. In die Festung gelangte man durch Tunnels im Fels, und über dem
Eingang zu jedem Tunnel hing ein Schild mit der Aufschrift:
     
    Alles nicht
Verbotene ist Pflicht
     
    Er las die Bekanntmachung
mit Mißfallen, wenngleich er ihre Bedeutung nicht verstand. Er dachte: Ich
werd’ mich ein wenig umsehn, eh ich hineingehe. Aus irgendeinem Grunde
schreckte ihn die Inschrift ab; sie ließ den grobgehauenen Tunnel unheimlich
erscheinen.
    Bedächtig ließ er seine Fühler spielen, überdachte
die Bekanntmachung, vergewisserte sich seiner neuen Sinne und stellte sich
bereit, als wolle er in der Insektenwelt festen Fuß fassen. Mit den
Vorderbeinen säuberte er seine Fühler, strählte und glättete sie, so daß er aussah
wie ein viktorianischer Schurke, der seinen Schnurrbart zwirbelt. Er gähnte –
denn Ameisen gähnen und recken und strecken sich wie Menschen. Dann wurde ihm
etwas bewußt, das darauf gewartet hatte, bemerkt zu werden: in seinem Kopf war
ein bestimmtes Geräusch. Es war entweder ein Geräusch, oder aber ein komplizierter
Geruch, und am leichtesten ist’s zu erklären, wenn man sagt, daß es so etwas
wie eine drahtlose Funkübertragung war. Seine Fühler dienten als Antennen.
    Die Musik hatte einen monotonen Rhythmus, wie einen
Pulsschlag, und die Wörter, die damit einhergingen, lauteten etwa: Hund – bunt
– rund – Mund, oder: Mammy – Mammy – Mammy, oder: Immer – nimmer, oder: Blau –
trau – schau. Zuerst gefiel’s ihm, besonders das Wall – Hall – All, bis er
merkte, daß es keine Abwechslung gab. Sobald sie einmal erklungen waren,
fingen sie wieder von vorne an. Nach ein oder zwei Stunden wurde ihm wirklich
komisch zumute.
    In den Pausen zwischen der Musik war auch eine Stimme
in seinem Kopf, die Anweisungen zu geben schien. »Alle Zwei-Tage-Alten werden
in den Westgang transportiert«, hieß es, oder: »Nummer 2IO397/WD meldet sich
bei der Suppengruppe und ersetzt 333.105/WD, die aus dem Nest gefallen ist.« Es
war eine klangvolle Stimme, doch wirkte sie unpersönlich, als sei ihr Charme
angelernt und eingeübt wie ein Zirkustrick. Sie war tot.
    Der Junge – oder vielleicht sollten wir >die
Ameise< sagen – entfernte sich von der Festung, sobald seine Beine des
Gehens mächtig waren. Ängstlich erkundete er die Geröllwüste. Einerseits
sträubte er sich dagegen, den Ort aufzusuchen, von dem die Befehle kamen,
andererseits behagte ihm die Enge nicht. Er fand kleine Pfade zwischen den
Gesteinsblöcken, ziellose und zugleich zweckgerichtete Wanderwege, die zum
Vorratslager führten sowie in verschiedene andere Richtungen, die ihm nicht
klar waren. Einer dieser Pfade endete an einer Erdscholle mit einer natürlichen
Höhlung darunter. In dieser Höhle entdeckte er – auch hier wieder das seltsame
Phänomen ziellosen Zwecks – zwei tote Ameisen. Sie waren ordentlich hingelegt
worden, aber auch wieder unordentlich, so, als habe eine sehr ordentliche
Person sie hergeschafft und unterwegs den Sinn des Unternehmens vergessen. Sie
waren zusammengerollt und schienen weder froh noch traurig darüber zu sein,
daß sie nun tot waren. Sie lagen einfach da, wie ein paar Stühle.
    Während er noch die Leichen betrachtete, kam eine
lebende Ameise den Pfad herab; sie trug eine dritte.
    Sie sagte: »Heil, Barbarus!«
    Der Junge sagte höflich Heil.
    In einer Hinsicht hatte er, ohne es zu wissen,
großes Glück. Merlin nämlich hatte nicht vergessen, ihm den richtigen Geruch
für das ’Nest mitzugeben – hätte er nach einem anderen Nest gerochen, wäre er
auf der Stelle getötet worden. Wenn Miss Cavell, die kühne, in Belgien von den
Besatzern hingerichtete Krankenschwester, eine Ameise gewesen wäre, hätte man
auf ihr Denkmal schreiben müssen: Geruch
genügt nicht .
    Die hinzukommende Ameise legte den Kadaver sorglos
nieder und zerrte dann die beiden anderen hierhin und dorthin. Sie schien

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