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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
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zu
warten, und machte sich mit der gleichen Bewegung ans Weiden, wobei sie sich
von ihm entfernte.
    Er hielt Wache. Er wußte nicht, wonach er Ausschau
halten sollte; auch sah er keinen Feind. Er sah nur Grasbüschel und seine knabbernden
Gefährten. Aber er hatte nichts dagegen, mit dem Amt des Wachtpostens betraut
worden zu sein.
    »Was machst du?« fragte sie, als sie eine halbe
Stunde später an ihm vorüberkam.
    »Ich schiebe Wache.«
    »Na, nun mach’s halblang«, sagte sie kichernd oder
gickernd oder gackernd. »Du spinnst!«
    »Wieso?«
    »Das weißt du genau.«
    »Nein«, sagte er, »bestimmt nicht. Mach’ ich’s
nicht richtig? Ich versteh’ nicht.«
    »Hack den nächsten. Du stehst doch schon mindestens
doppelt so lange wie nötig.«
    Er tat, wie sie gesagt hatte, woraufhin der neben
ihm grasende Ganter Posten bezog; er selber weidete mit ihr weiter. Sie
knabberten Seite an Seite und beobachteten sich mit Perlaugen.
    »Du hältst mich für dumm«, sagte er scheu, und zum
erstenmal gab er einem Tier gegenüber sein Geheimnis preis: »… aber das kommt
daher, daß ich keine Gans bin. Ich bin als Mensch auf die Welt gekommen. Das
hier ist mein erster Flug.«
    Sie war leicht überrascht.
    »Das ist ungewöhnlich«, sagte sie. »Meist versuchen
sich die Menschen als Schwan. Zuletzt hatten wir die Children of Lir. Aber wir
sind wohl doch allesamt anseriformes.«
    »Von den Children of Lir hab’ ich schon gehört.«
    »Denen hat’s nicht gefallen. Sie waren hoffnungslos
nationalistisch und religiös und klebten dauernd in der Nähe irgendeiner
Kapelle in Irland. Man könnte fast sagen, sie hätten die anderen Schwäne gar
nicht richtig bemerkt.«
    »Mir gefällt’s.«
    »Das hab’ ich mir gedacht. Wozu bist du hier?«
    »Für meine Ausbildung.«
    Sie weideten schweigend, bis seine eigenen Worte
ihn an etwas erinnerten, das er hatte fragen wollen.
    »Die Posten«, sagte er. »Sind wir im Krieg?«
    Sie begriff nicht.
    »Krieg?« fragte sie.
    »Kämpfen wir gegen irgendwen?«
    »Kämpfen?« fragte sie zögernd. »Manchmal kämpfen
die Männer um ihre Frauen und so was. Natürlich gibt’s kein Blutvergießen – nur
Raufereien, um den besseren Mann zu finden. Meinst du das?«
    »Nein. Ich meine: gegen Armeen kämpfen, gegen Heere,
gegen andere Gänse, zum Beispiel.«
    Sie blickte belustigt drein.
    »Wie lächerlich! Meinst du, ganze Gänseherden raufen
sich gleichzeitig? Das möcht’ ich gern mal sehn – muß sehr komisch sein.«
    Ihr Ton überraschte ihn; sein Herz war noch gütig –
. ein Knabenherz.
    »Du möchtest gern sehen, wie sie sich gegenseitig
töten?«
    »Sich gegenseitig töten? Eine Gänseherde soll eine andere
töten?«
    Zögernd begann sie zu begreifen, was er meinen mochte,
und ein Ausdruck des Abscheus überzog ihr Gesicht. Als sie begriffen hatte,
ließ sie ihn stehn. Sie wechselte auf einen anderen Teil des Weidegrundes. Er
folgte ihr, aber sie drehte ihm den Rücken zu. Er ging um sie herum, um ihr in
die Augen zu sehn, und ihr Widerwille erschreckte ihn, verstörte ihn – ein
Blick, als hätte er ein unsittliches Ansinnen an sie gerichtet.
    »Verzeihung«, sagte er unbeholfen. »Ich versteh’s
nicht.«
    »Wir wollen nicht mehr davon reden.«
    »Verzeihung.«
    Ein Weilchen später fügte er leicht verärgert
hinzu: »Man darf doch wohl noch fragen? Scheint mir eine ganz natürliche Frage
– mit den Posten.« Aber sie war wirklich wütend.
    »Läßt du das jetzt sofort sein! Was hast du nur für
eklige Gedanken! Du hast kein Recht, solche Sachen zu sagen. Und natürlich
stehn Posten da. Wegen der Gerfalken und der Wanderfalken. Und hast du die
Füchse vergessen und die Hermeline und die Menschen mit ihren Netzen? Das sind
natürliche Feinde. Welche Geschöpfe aber könnten so tief sinken, daß sie sich
zu Banden zusammenschließen, um andre ihres eignen Blutes zu ermorden?«
    »Ameisen tun’s«, sagte er halsstarrig. »Und ich
wollt’ doch bloß lernen.« Langsam ließ sie sich erweichen und versuchte, ein
freundliches Gesicht zu machen. Sie wollte nicht kleingeistig und spießig
erscheinen. Im Grunde nämlich war sie ein Blaustrumpf.
    »Ich heiße Lyo-lyok. Und du legst dir am besten den
Namen Kii-kwa zu, dann denken die ändern, du kommst aus Ungarn.«
    »Kommt ihr alle aus verschiedenen Gegenden?«
    »In Gruppen, natürlich. Ein paar sind aus Sibirien,
ein paar aus Lappland, und zwei oder drei scheinen mir aus Island zu kommen.«
    »Und die kämpfen nicht um die

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