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Der König der Diamanten

Der König der Diamanten

Titel: Der König der Diamanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Tolkien
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der dachte, er hätte nicht recht gehört. »Sie haben doch gar keinen Durchsuchungsbefehl.«
    »Und so wie es aussieht, kriege ich auch keinen, richtig? Ein suspendierter Bulle auf der Abschussliste – ich habe ja wohl nicht mehr viel zu melden, und ohne Macraes Zustimmung geht ohnehin nichts. Um ehrlich zu sein, Adam, mache ich mir nicht mehr allzuviel Sorgen, ob das, was ich tue, der Vorschrift entspricht.Daran sollten Sie sich gewöhnen, wenn Sie weiter mit mir zu tun haben wollen. Menschen sind gestorben, und ein Junge soll baumeln für etwas, das er nicht getan hat. Deshalb mache ich, was nötig ist, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Und im Moment heißt das, in diese Wohnung einzubrechen. Ich möchte gern sehen, was Mr. Newman-Mendel da oben zusammengetragen hat, und zwar, bevor er wieder hier eintrudelt. Kommen Sie jetzt mit oder nicht?«
    Clayton legte die Stirn in Falten und wusste nicht recht, was er machen sollte. Doch dann musste er lachen, denn Traves Tollkühnheit wirkte irgendwie ansteckend.
    »Was soll’s«, sagte er. »Ich bin dabei.«
    »Wunderbar«, sagte Trave. »Haben Sie zufällig irgendwas aus Plastik oder ein Stück Draht dabei?«
    Clayton hatte weder das eine noch das andere, doch das kleine Taschenmesser, das er immer an seiner Schlüsselkette hatte, verschaffte ihnen zuerst Zugang zum Haus und dann, nach dem Aufstieg über drei teppichlose Treppen, auch zur Wohnung Nummer Fünf. Jacob hatte die Tür beim Gehen nur hinter sich zugezogen – der untere Riegel war nicht zugesperrt. Die beiden Beamten standen in einem schmalen Gang, der so lang war wie die Wohnung und von dem auf jeder Seite zwei Türen abgingen. Rechts war eine kleine Küche mit einem alten Herd, einem halbleeren Kühlschrank sowie einem niedrigen Regal, auf dem koschere Lebensmittelpackungen mit dem Etikett eines Ladens im Stadtzentrum aufgereiht standen. Daran schloss sich ein spärlich eingerichtetes Schlafzimmer an: Ein schmales Bett mit Metallrahmen – Leintuch, Decke und Kissen in militärischer Präzision zurechtgemacht –, ein winziger Nachttisch, außerdem ein mächtiger Schrank aus Mahagoni, in dem Jacobs gebügelte Kleidung an Drahtbügeln hing. Alles war ordentlich und sauber. Das Zimmer sah aus wie die Zelle eines Mönchs, dachte Trave. Das Einzige, was noch fehlte, war ein Kruzifix über dem Bett. Nur dass der, der hier wohnte, ein zionistischer Jude war.
    Die Fenster in diesem Teil der Wohnung zeigten auf die Rückseite der Häuserreihe in der Parallelstraße. Vereinzelt brannten dort Lichter. In der Dunkelheit darunter waren die Umrisse einiger Büsche zu erkennen, die im Garten etwas einrahmten, das wie eine ausgediente Luftschutz-Hütte aus dem Zweiten Weltkrieg aussah und bucklig aus dem Boden ragte wie ein gestrandetes Tier aus der Vorzeit. Es war kein Mensch zu sehen, und aus den anderen Wohnungen im Haus hörte man keinen Laut.
    Vom Schlafzimmer gingen sie über den Gang an einem engen Badezimmer mit Toilette vorbei und betraten das Wohnzimmer, den bei weitem größten Raum. Die Dämmerung war gekommen, sodass die hoch aufragenden Kirchturmspitzen als Silhouetten draußen vor dem Fenster zu sehen waren, doch im Zimmer selbst war es jetzt dunkel. Sie befanden sich auf der Vorderseite des Hauses, deshalb konnten sie kein Licht anmachen, ohne zu riskieren, dass Jacob es beim Heimkommen sah. Aber Trave war so schlau gewesen, eine Taschenlampe mitzubringen, schaltete sie jetzt ein und suchte mit dem Lichtschein das Zimmer ab. Ein rechteckiger Tisch aus Kiefernholz stand in der Mitte des Raumes und war über und über mit Papieren bedeckt. Am Tisch stand ein Stuhl, und drüben am Fenster gab es einen blauen Ohrensessel und einen kleinen Fernseher. Außerdem nur noch ein großes, freistehendes Bücherregal in der hinteren Ecke, vollgestopft mit Büchern, Ordnern und Zeitschriften, sowie daneben ein Ablageschrank aus Metall. Aber die Wände waren von oben bis unten mit Fotografien, Zeitungsausschnitten, Landkarten und Schaubildern vollgehängt, dass das Zimmer wirkte wie eine Einsatzzentrale. Kein sehr einladender Ort, dachte Clayton – randvoll und dabei doch irgendwie leer. Der Raum vermittelte den Eindruck, als sei der Mann, der hier wohnte, leidenschaftlich, um nicht zu sagen getrieben – jemand, der sich durch nichts aufhalten ließ.
    Trave richtete seine Taschenlampe auf die Gesichter, die von den Fotos an der Wand zu ihnen herblickten: David Swain starrte voneinem der Steckbriefe, die nach dem

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