Der König der Diamanten
hinterlassen. Als sie aufstand, um zu gehen, wusste sie ganz genau, dass sie ihren Seelenfrieden nicht finden würde, bis endgültig klar war, wer Katya im vergangenen September in ihrem Bett umgebracht hatte.
»Warum hat Inspector Macrae dir eigentlich erzählt, dass ich ihn aufgesucht habe?«, fragte Vanessa, als der Abend zu Ende ging und Titus sie zum Abschied küssen wollte. »Das war doch vertraulich.«
»Vermutlich wollte er mir nur helfen«, sagte er zögerlich, denn er wusste nicht gleich, wie er mit dieser unerwarteten Frage umgehen sollte. »Er wollte mir zu verstehen geben, dass er alles tut, was in seiner Macht steht, um Katyas Mörder für seine Tat bezahlen zu lassen.«
»Durch Unterschlagung von Beweisen?«
»Ja. Er hat Unrecht getan. Genau wie ich«, sagte Titus. »Aber du hast mir verziehen, stimmt’s?«
»Stimmt«, sagte Vanessa und schlang ihre Arme um seinen Hals, um ihm einen langen, innigen Kuss zu geben. Es fühlte sich gut an, ihn wiederzuhaben.
Kapitel Fünfundzwanzig
Der Prozess bewegte sich unaufhaltsam auf den Tag zu, an dem David Swain sein weiteres Schicksal erfahren sollte. Die Zeugenaussagen waren abgeschlossen, Wort für Wort mitgeschrieben von der Stenotypistin, die unterhalb der Richterempore über ihren Tisch gebeugt saß. Was noch fehlte, war die abschließende Zusammenfassung des Richters, dann war es Aufgabe der Geschworenen, sich »um ein gerechtes Urteil anhand der Beweise zu bemühen« und zu entscheiden, ob der Angeklagte leben oder sterben sollte.
Auch David hatte ausgesagt. Eineinhalb Tage lang hatte er im Zeugenstand gestanden, mit Anzug und Krawatte, die seine Mutter ihm aus Oxford mitgebracht hatte, und der schweigenden Jury »die Wahrheit, die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit« gesagt. Aber seine Worte hatten flach, hohl und wenig überzeugend geklungen – auch für ihn selbst. Er merkte, wie sie es vermieden, ihn anzusehen, während er sprach, genauso wie das auch ihre Vorgänger getan hatten beim Prozess vor zweieinhalb Jahren. Wie beim ersten Mal war es dem hageren Staatsanwalt gelungen, ihm die Worte im Mund umzudrehen. David wurde klar, dass das Netz, das unsichtbare Hände sorgfältig um ihn gesponnen hatten, viel zu raffiniert konstruiert war, als dass er sich einfach dadurch befreien könnte, weiterhin seine Unschuld zu beteuern.
Die einzige Möglichkeit, aus diesem Labyrinth herauszufinden, war, jedes Glied der Kette von Ereignissen zu überprüfen, die ihn in die Situation gebracht hatten, in der er jetzt war. Irgendwo musste eine Schwachstelle sein – etwas, das er übersehen hatte, etwas, das ihn entlasten und auf die deuten würde, die ihm Böses wollten. Und so bewegte er sich in Gedanken rückwärts, in die Vergangenheit, durchforstete sein Gedächtnis nach Auffälligkeiten.Und jedes Mal sah er nur ein Gesicht vor sich – Franz Claes. Am Tatort hatte beide Male Franz Claes auf ihn gewartet. Er war mit der Waffe in der Hand um die Ecke des Bootshauses gehumpelt, als er selbst gerade nach der nassen Leiche von Ethan Mendel gegriffen hatte und merkte, wie ihm das zähflüssige Blut über die Hand lief. Und er war im oberen Gang von Blackwater Hall aus dem Schatten aufgetaucht und hatte auf ihn geschossen, als er aus Katyas Zimmer gestolpert kam und nicht glauben konnte, dass sie tot im Bett lag. Claes, jedesmal Claes. Und jetzt hatte sich herausgestellt, dass er ein Nazi war. Er hatte im Krieg für die belgische Regierung gearbeitet und in dem Zusammenhang mit den Nazis zu tun gehabt, die einen Zug voll belgischer Juden nach dem anderen in die Vernichtungslager schickten. David war davon überzeugt, dass Claes sowohl den Mord an Ethan als auch den an Katya begangen hatte. Er konnte es nur nicht beweisen.
Und was war mit Titus Osman? Steckte er mit Claes unter einer Decke, oder hatte Claes unabhängig von seinem Schwager gehandelt? In diesem Punkt war David sich nicht sicher. Beim ersten Prozess hatte Osman ausgesagt, er hätte Ethan zum Lunch getroffen, bevor der nach Oxford fuhr. Hatte Claes Ethan abgefangen, als dieser Blackwater Hall verließ, oder hatte Osman bezüglich der Abfahrtszeit gelogen? David konnte sich sehr gut daran erinnern, dass Osman ihn nicht in Blackwater Hall haben wollte, weil er anscheinend nicht gut genug für Katya war. Außerdem erinnerte er sich genau, wie aalglatt und emotionslos Osman seine Aussage gemacht hatte. Aber daraus konnte man ihm ja noch lange keinen Strick drehen. Claes schien derjenige
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