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Der König der Diamanten

Der König der Diamanten

Titel: Der König der Diamanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Tolkien
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Ausmaß Katya sich nach Ethans Tod in Schwierigkeiten brachte und dass er sie deshalb zu ihrer eigenen Sicherheit in Blackwater Hall festhalten musste, auch auf die Gefahr hin, dass sie ihn dafür hasste. Und die Geschworenen glaubten ihm aufs Wort. Es blieb ihnen keine Wahl – denn dafür gab es Beweise aus unabhängigen Quellen.
    David war so gut wie tot. Er konnte es beinahe selbst nicht glauben, wie fest er von seiner Verurteilung überzeugt war. Dabei hatte er ja gar nichts getan. Aber die Staatsanwaltschaft hatte alles: Anwesenheit am Tatort, Motiv, Mordwaffe, sogar ein Geständnis. Er hatte keine andere Wahl gehabt. Macrae und Wale hatten ihn zerbrochen, damals, nach seiner Festnahme, in der Zelle mit der dicken Eisentür, hatten ihn restlos zerstört. Er war nackt gewesen und sie angezogen, und Wale hatte Dinge mit ihm gemacht, die … Er hatte nicht gewusst, dass Menschen zu so etwas fähig waren. Wale hatte den Schmerz wie einen Wasserhahn auf- und abgedreht, ganz nach Macraes Belieben, ohne dabei irgendeine Spur zu hinterlassen, bis David schließlich aufgegeben und alles zugegeben hatte, nur damit das endlich aufhörte.
    Im Zeugenstand hatte er den Geschworenen von der Folter erzählt und sofort gespürt, dass sie ihm nicht glaubten. Ihm fehlten die richtigen Worte, um ihnen vor Augen zu führen, wie das gewesen war, als er zitternd unter der Glühbirne gestanden und darauf gewartete hatte, dass Wale erneut begann, während Macrae auf dem Stuhl in der Ecke saß und seelenruhig zuschaute.
    Die Erinnerung an Wales Gesicht und Macraes Stimme hatte ihn seither nicht losgelassen, hatte seine ganze Wut verstummen lassen und ihn völlig gereinigt.
     
    Gegen Ende des Prozesses bekam David immer weniger mit. Die Tage gingen ineinander über und waren nur unterbrochen durch die ungemütlichen Fahrten im Gefängnistransporter und schlafloseNächte, in denen er sich auf seiner Pritsche hin und her wälzte. Mittlerweile war er alleine: Toomes war zum Tode verurteilt und Gott weiß wohin gebracht worden, um auf seine Hinrichtung zu warten. Und nun war David an der Reihe.
    Nachdem er im Untergeschoss des Old Bailey stundenlang wie ein eingesperrtes Tier in der engen, mit Eisenstäben abgetrennten Zelle auf und ab gegangen war, wurde er am späten Nachmittag zur Urteilsverkündung nach oben gebracht. Zwei Wächter führten ihn in Handschellen hinauf. Unter einer gewölbten, weißgetünchten Decke gingen sie einen Korridor mit grellem Neonlicht entlang, und David hatte kurz das Gefühl, genauso würde es auch bei seinem letzten Gang sein – er würde unter weißen Lampen hindurch auf eine halbgeöffnete Türe zutaumeln. Jetzt war hinter der Türe aber nur ein alter, ächzender Aufzug – und nicht der hölzerne Galgen.
    Den Aufzug hinter sich lassend, stieg David die kurze, steile Treppe zur Anklagebank hinauf, und während er sich in die Mitte des überfüllten Gerichtsaals bewegte, schien dieser plötzlich auf ihn einzustürzen. Alle befanden sich schon auf den vorgesehenen Plätzen, und es war unmöglich, sich vor den verzerrten, gierigen Gesichtern zu verstecken, die ihn anstarrten, um einen letzten Blick auf diesen Mann zu werfen, der bald sterben sollte. Und über allem thronte auf seinem Stuhl mit der hohen Lehne der Richter in schwarzer Robe, der mit seinem verschleierten Blick wirkte wie ein steinalter Geier auf der Jagd.
    Das Gemurmel, das bei Davids Ankunft im Gerichtssaal entstanden war, ebbte ab. Der richterliche Assistent stand auf, räusperte sich und richtete an den Sprecher der Geschworenen die jahrhundertealte Frage:
    »Sind die Geschworenen zu einem einstimmigen Urteil gelangt?«
    »Ja, Euer Ehren«, erwiderte der Sprecher schnell und mit einer hohen, nervösen Stimme. Er war klein, hatte rote Wangen undeine Glatze, und in seinem runden Engelsgesicht prangte eine viel zu große Hornbrille. Er sah aus wie ein Schuljunge mittleren Alters und schien völlig fehlbesetzt für die Rolle.
    Eine kurze Pause trat ein – ein oder zwei Sekunden, in denen der Assistent seine Robe ordnete –, und David spürte den Druck, der sich in seiner Brust und seinem Kopf breitmachte, als würde er gleich in tausend Einzelteile zerplatzen. Ihm war, als würde er ertrinken, als würde er alles um sich herum wie durch blau wirbelndes Wasser hindurch sehen. Er blickte auf zu dem Bild mit dem Löwen und dem Einhorn – das Symbol der britischen Justiz –, das hinter dem Richter an der Wand hing und betete für einen

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