Der König der Diamanten
benutzen. Gott allein weiß, wo er die überhaupt herhat. Man kommt nicht so leicht an eine heran in diesem Land hier. Man braucht einen Waffenschein.« Osman hatte offensichtlich Angst, und das verunsicherte Vanessa. Es wäre ihr lieber gewesen, ihn stark und unbesiegbar zu sehen – und nicht als das Nervenbündel zu erleben, in das er sich am heutigen Abend verwandelt hatte.
»Du sagst, er gibt dir die Schuld an dem, was mit seinem Bruder passiert ist. Wie kommt er darauf, etwas Derartiges zu behaupten?«, fragte sie und dachte insgeheim daran, wie froh ihr Mann wohl wäre, wenn er wüsste, dass jemand außer ihm Titus mit derartiger Besessenheit verdächtigte.
»Ich weiß nicht. Es will mir einfach nicht einleuchten«, sagte Osman. »Vielleicht, weil Ethan mein Gast war und ich ihn nicht beschützt habe. Aber wie hätte ich das tun können? Ich wusste ja nicht, dass Swain im Anmarsch war. Genausowenig wie bei Katya. Hätte ich es doch nur gewusst«, fügte er an und bedeckte seine Augen mit der Hand, wie um sich vor einer unliebsamen Erinnerung zu schützen.
»Aber das ist doch nicht deine Schuld«, sagte Vanessa und griff über den Tisch nach seiner Hand. »Aber wie ist das mit Franz? Bist du dir sicher, dass
er
nicht wusste …?« Sie brach ab, doch es war klar, was sie meinte.
»Aber selbstverständlich bin ich mir sicher«, erwiderte Titus erstaunt. »Ich weiß, dass du Franz nicht leiden kannst, aber er hatte nichts zu tun mit dem, was Ethan und Katya widerfahren ist. Dazu wäre er nicht in der Lage.«
»Aber er mochte Ethan nicht, oder?«, bohrte Vanessa nach, ohne sich mit Titus’ Beteuerungen zufriedenzugeben. »Ethan war doch Jude.«
»Das hat nichts damit zu tun«, sagte Osman schnell.
»Und was war mit Katya? Was hielt er von der?«, fragte Vanessa.
»Die beiden kamen nicht sonderlich miteinander aus. Aber das muss ja nichts heißen. Frauen mag er eben nicht besonders. Das habe ich dir doch schon erklärt. Swain hat diese beiden Morde begangen, Vanessa. Begreif das doch endlich«, sagte Osman, und seine Stimme duldete keinen Widerspruch. Er umklammerte jetzt sein Weinglas so fest, dass Vanessa Angst hatte, es würde zerbrechen.
Sie nickte, als würde sie zustimmen, senkte aber den Blick, um nicht zu zeigen, dass sie daran sehr wohl zweifelte. Insgeheim hoffte sie ja, dass man Swain freisprechen würde, aber das wollte sie Titus so nicht sagen. Wenn es um seinen Schwager ging, schien er mit Blindheit geschlagen zu sein, und sie wollte einfach keinen weiteren Streit riskieren. Und dennoch gelang es ihr nicht ganz, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Als der Kaffee gereicht wurde, kam sie noch einmal auf Titus’ Nichte zu sprechen. Das Mädchen ging ihr einfach nicht aus dem Kopf.
»Was war Katya denn für ein Mensch?«, fragte sie. »Du redest nie über sie.«
»Es ist einfach zu schmerzhaft«, erwiderte Osman. »Wir waren die meiste Zeit nicht gut zueinander, und jetzt, da sie tot ist, wünsche ich mir, ich hätte mich ihr gegenüber anders verhalten. Aber dafür ist es zu spät. Deshalb versuche ich, nicht daran zu denken.«
»Das verstehe ich gut«, sagte Vanessa voller Mitgefühl. »Warum wart ihr nicht gut zueinander?«
»Weil ich die Rolle ihrer Eltern übernehmen musste, nachdem die gestorben waren, und das wollte sie einfach nicht akzeptieren. Sie hat in der Schule Schwierigkeiten bekommen und sich mit Jungs eingelassen – da musste ich einschreiten. Und mit jeder weiteren Meinungsverschiedenheit nahm ihr Hass auf mich zu. Ganz schlimm wurde es dann nach dem Tod von Ethan. ›Du bist nicht mein Vater‹ war ihr Lieblingsspruch«, sagte Osman traurig. »Und leider blieb über die Streitereien hinaus kaum Platz für anderes. Aber daran ist nichts zu ändern. Man kann die Toten nicht wieder lebendig machen.«
»Hat sie irgendetwas zurückgelassen? Etwas, das dir hilft, sich an sie zu erinnern?«, fragte Vanessa.
»Nein, eigentlich nicht. Aber so war sie nun mal – flattrig, unruhig, ungreifbar. Wie ein wilder Vogel. Ich hatte ein Foto von ihr auf dem Schreibtisch, aber das habe ich weggeräumt. Es war einfach zu schmerzhaft.«
»Schmerzhaft« – das war das zweite Mal innerhalb einer Minute, dass Titus dieses Wort in Bezug auf Katya in den Mund genommen hatte. Zudem fand Vanessa die Charaktereigenschaften, mit denen er seine Nichte beschrieb, ziemlich unzutreffend. Vanessa war Katya nur zweimal begegnet, dennoch hatte das Mädchen bei ihr einen nachhaltigen Eindruck
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