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Der König der Diamanten

Der König der Diamanten

Titel: Der König der Diamanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Tolkien
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passierte und zwischen hohen, mondbeschienenen Bäumen auf Osmans Haus zufuhr.
    Clayton erwartete ihn schon in der Eingangshalle. Alles war hell erleuchtet, oben hörte man Leute hin- und herrennen, doch die Eingangshalle selbst war momentan vollkommen leer – nur ein uniformierter Polizist stand als Wache vor der geschlossenen Tür zum Salon. Dieser Raum war Trave von zurückliegenden Besuchen lebhaft in Erinnerung. Einen schöneren Ausblick als den über den Garten und den Wald hinunter zum Blackwater Lake gab es im ganzen Landkreis nicht. Doch fürs Erste musste er den Salon Salon sein lassen.
    »Wo ist sie?«, fragte er, ohne groß Zeit für Begrüßungen zu verschwenden. Heute hatte er es eilig.
    »Wer?«, fragte Clayton überrascht – diese Frage hätte er nicht unbedingt als erste erwartet.
    »Katya Osman. Ich vermute mal, sie ist die junge Frau mit dem Kopfschuss, die uns heute Nacht hier zusammenführt.«
    »Ja, das stimmt. Sie ist in ihrem Zimmer im obersten Stock.Sieht aus, als wäre sie im Schlaf erschossen worden. Der Hausherr ist dort drin«, sagte Clayton und zeigte auf die Salontür auf der anderen Seite der Eingangshalle. »Gemeinsam mit den beiden anderen Bewohnern, Mr. Claes und seiner Schwester.«
    »Die können warten«, sagte Trave barsch und wandte sich zur Treppe.
    »Sie sagen, ein gewisser David Swain sei hier eingebrochen und hätte sie getötet«, sagte Clayton, während er versuchte, seinen Chef einzuholen.
    »Der kann das nicht gewesen sein. Er sitzt lebenslänglich hinter Gittern. Ich selbst habe ihn dorthin verfrachtet.«
    »Das weiß ich. Aber sie sagen, er sei entkommen.«
    »Wie das?«
    »Keine Ahnung. Ich habe Samuels beauftragt, das zu überprüfen. Mr. Osman glaubt, er sei Anfang des Jahres wieder ins Gefängnis von Oxford verlegt worden.«
    »Ach, glaubt er das? Und woher kennen Sie eigentlich den Namen Swain?«
    »Auf dem Revier haben alle über diesen Prozess geredet, damals vor zwei Jahren, als ich dort gerade den Dienst begonnen hatte. Über ihn und das Mädchen hier und diesen Belgier, den er erstochen hat – eine Art Liebesdreieck mit bösen Folgen, so wie ich das verstanden habe.«
    »So könnte man das tatsächlich nennen«, sagte Trave und verzog das Gesicht zu einer Grimasse, weil er an seine eigene Situation denken musste.
    »Und als hier dann der Name Swain fiel, erinnerte ich mich daran, dass dies hier ja der Ort war. Wo alles passiert ist, meine ich.«
    »Na, gratuliere«, sagte Trave. Er spürte, wie sich in seiner Brust ein Gefühl von Wut breitmachte, als sie sich dem oberen Stockwerk näherten. Es war eine sinnlose Wut, angesammelt über Jahre der Frustration. Die meisten Morde hätte man im Grunde verhindern können, doch wenn er dann schließlich am Tatort eintraf,war es dafür naturgemäß zu spät. Er konnte zwar die Mörder finden und sie irgendwo in eine Zelle sperren, aber die Toten konnte er nicht wieder zum Leben erwecken.
    Und wenn das Opfer bekannt und dazu noch jung war wie Katya Osman, verschlimmerte das die Sache noch, dachte er, als er neben ihrem Bett stand und auf ihr blasses, ausgezehrtes, dabei immer noch hübsches Gesicht hinunterblickte – und auf das kleine Loch in der Mitte ihrer Stirn, mit seinem purpurnen Rand aus getrocknetem Blut.
    Schlafzimmer waren Rückzugsräume. Im Bett sollte man sicher sein, unbedroht. »Matthäus, Markus, Lukas, Johannes behüten das Bett des kleinen Mannes.« Er erinnerte sich an das Gebet aus seiner Kindheit, wie seine Mutter es im Halbdunkel angestimmt hatte. Aber niemand hatte Katyas Bett behütet, als es darauf ankam. Keiner war dagewesen, um auf sie aufzupassen.
    Trave schluckte und schloss fest die Augen. Für einen Moment fühlte er sich wie die armen Eltern, die er ab und an in die Leichenhalle im Krankenhaus führen musste, damit sie ihr eigenes Kind identifizierten. Doch er war jetzt Kriminalbeamter. Das war für ihn übriggeblieben, nichts anderes. Er hatte kein Kind mehr. Erneut sah er hinunter auf das tote Mädchen auf dem Bett und ließ den Blick über ihre Wangen hin zu den leeren blauen Augen streifen. Er konnte sich gut an Katyas Augen erinnern. Sie waren das Auffallendste an ihr gewesen. Augen so groß und leuchtend, dass ein junger Mann darin hätte versinken können. Doch jetzt war das Licht in ihnen erloschen, und sie starrten leblos an die Decke.
    »Damit, dass sie geschlafen hat, liegen Sie falsch, Adam«, sagte er, ohne sich umzudrehen. »Sie hat den, der’s getan hat, gesehen,

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