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Der König der Diamanten

Der König der Diamanten

Titel: Der König der Diamanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Tolkien
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bevor sie starb. Die Waffe auch. Nichts blieb ihr erspart. Sie wusste es. Wenn nur das menschliche Auge wie ein Kamera wäre und wir den Film abspielen könnten«, fuhr er sinnierend fort, wobei er das mehr zu sich selbst sagte, als er sich hinunterbeugte und Katya Osman die Augen für immer verschloss.
     
    Er war schon dabei, sich abzuwenden, hielt dann aber noch einmal inne und nahm die leblose Hand des Mädches von der Bettdecke.
    »Schauen Sie«, sagte er und winkte Clayton zu sich ans Bett.
    »Was denn, Sir?«
    »Ihre Fingernägel. Vollkommen abgenagt. Und sie kann kaum mehr halb so viel wiegen wie bei unserem letzten Treffen«, fügte er hinzu und schlug die Decke zurück.
    »Hart an der Grenze zur Unterernährung, wenn man mich fragt«, sagte eine Stimme hinter ihm. Das war Davis, der Polizeiarzt, der hinter ihm in der Tür stand, wie üblich in seiner Privatuniform, bestehend aus brauner Kordjacke und Seidenfliege. Er trug immer das Gleiche – Trave konnte sich nicht erinnern, Horace Davis in all den Jahren ihrer Zusammenarbeit je anders angezogen gesehen zu haben.
    »Ist nicht das erste Mal, dass wir uns hier des Nachts über den Weg laufen, Bill«, sagte der Arzt trocken, indem er zu dem toten Mädchen trat.
    »Stimmt«, sagte Trave. Sie waren jetzt nur mehr zu zweit. Clayton hatte den Raum verlassen, um mit einem uniformierten Polizisten zu sprechen, der schon einige Zeit draußen im Gang gewartet und versucht hatte, seine Aufmerksamkeit zu erregen.
    »Wer ist sie?«, fragte der Arzt.
    »Katya Osman. Sie ist, oder war, die Freundin des Mannes, wegen dem Sie letztes Mal hier waren.«
    »Und die da?«, fragte Davis und deutete mit dem Kopf auf das Foto, das Trave beiläufig vom obersten Brett eines Bücherregals genommen hatte: eine lachende Frau mit einem Tuch um den Kopf, Arm in Arm mit einem Mann mit Glatze, altmodischem Anzug und Nickelbrille; hinter ihnen das Meer und eine Stimmung, als würde der Wind sie gleich wegblasen.
    »Ihre Eltern.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Ich habe sie damals nach ihnen gefragt. Sie hat mir das Foto gezeigt.«
    »Und wo sind die jetzt?«, fragte der Arzt, ohne dabei die Untersuchung des toten Mädchens zu unterbrechen.
    »Gestorben. Im Krieg. Wie, weiß ich nicht.«
    Davis sah auf – er hatte den bitteren Klang in Traves Stimme bemerkt.
    »Die ist schon was Besonderes, nicht wahr?«, fragte er.
    Trave stellte das Bild an seinen Platz zurück, ohne zu antworten, trotzdem nickte Davis verständnisvoll.
    »Sie war schön«, sagte er und sah hinunter auf Katya. »Ein Jammer ist das. Oder etwa nicht? Ein richtiger Jammer.«
    Er wandte sich vom Bett ab und wurde wieder ganz der Gerichtsmediziner, als er seine alte, abgewetzte Arzttasche zuschnappen ließ.
    »Sie ist etwas über eine Stunde tot, von daher würde ich als Todeszeitpunkt etwa halb eins ansetzen, plusminus ein paar Minuten. Und wer immer das auch war – er wusste, was er tat. Aber das ist ja wohl kaum zu übersehen«, fügte er hinzu, indem er auf Katyas Stirn deutete.
    »Oh, und Sie sollten auch hier noch einen Blick draufwerfen«, sagte er, indem er Trave zu sich winkte, Katyas Ärmel hochschob und so die Einstiche in der Armbeuge sichtbar machte. »Sie hat sich Spritzen gegeben, oder jemand anderes hat das für sie getan.«
    »Sind da welche von heute dabei?«, fragte Trave.
    »Weiß ich nicht. Aber das wird die Autopsie ergeben. Sie kriegen Bescheid. Hoffentlich schnappen Sie das Schwein, Bill«, sagte Davis und blickte ein letztes Mal zurück, während er schon hinausging. »Der, der das hier gemacht hat, ist keiner von unseren üblichen Kandidaten.«
    »Nein«, sagte Trave zu sich selbst. »Nein, das ist er gewiss nicht.«
     
    Clayton wartete geduldig, während Trave beim Fenster stand und in die Nacht hinaussah. Es gab durchaus Dinge, die er anzusprechen hatte, unter anderem das, was er draußen an Neuigkeiten erfahren hatte, aber er kannte seinen Chef gut genug, um ihn in Ruhe zu lasssen, solange er seinen Gedanken nachhing.
    »Irgendetwas ist hier drin passiert«, sagte Trave, ohne sich umzudrehen.
    »Passiert, Sir?«, wiederholte Clayton verwirrt. Natürlich war etwas passiert. Man hatte einer jungen Frau in den Kopf geschossen.
    »Es ist viel zu sauber. Ich erinnere mich daran, wie ich nach dem Mord an Mendel das Haus durchstreifte: das Zimmer hier sah völlig anders aus als jetzt. Alles war verstreut, Kleider, Make-up, Zeitschriften, Bücher – und was sonst noch alles. Ein Mädchenzimmer halt.

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