Der König Der Komödianten: Historischer Roman
den Schinken vertilgt hatte, öffnete ich das Fenster, um gehörig frische Luft hereinzulassen. Frische Luft blies dumme Gedanken aus dem Kopf, wie ich von Onkel Vittore wusste. Ah, Onkel Vittore! Warum nur hatte er sterben müssen? Trauer erfüllte mich, und eine Weile war ich damit beschäftigt, seiner zu gedenken und für sein Seelenheil zu beten.
Danach spitzte ich die Feder neu, weil Rodolfo dabei ein wenig grob zu Werke gegangen war. Genau wie die anderen Incomparabili – mit Ausnahme von Bernardo und Baldassarre – hatte er bislang in seinem Leben nur selten eine Schreibfeder benutzt. Bereits vor einer Weile hatte ich durch Cipriano von diesem erstaunlichen Umstand erfahren. Die Mitglieder der Schauspieltruppe hatten zwar allesamt mehr oder weniger ordentlich Lesen gelernt, und mit einiger Mühe und unter längerem Nachdenken konnten sie auch selbst einzelne Zeilen verfassen, doch fehlerfreies oder gar flüssiges Schreiben auf gerader Linie und ohne Kleckse war ihre Sache nicht.
Cipriano hatte nur die Achseln gezuckt, offenbar hielt er es für das Normalste der Welt. »Wenn man es nie braucht, muss man es auch nicht richtig können. Hauptsache, mit dem Lesen klappt es. Das Schreiben hat immer Bernardo übernommen, und vor ihm Baldassarre, als er noch bessere Augen hatte. Von uns Übrigen kann es Elena noch am besten, sie macht die wenigsten Fehler und schreibt am saubersten, aber es gehört zu den Dingen, die sie gar nicht mag, weil es ihre Geduld strapaziert.«
Das wiederum wunderte mich nicht. Geduld war nicht ihre Stärke.
»Ich dachte immer, Leute, die lesen können, beherrschen auch das Schreiben.«
»Zwischen können und können gibt es Unterschiede«,lautete Ciprianos Erwiderung. »Stell es dir wie das Singen vor. Manche bringen keine drei sauberen Töne heraus, andere singen eine ganze Arie fehlerfrei von Anfang bis Ende.«
Kurzum, ich musste zur Kenntnis nehmen, dass eine Fähigkeit, die ich von klein auf als selbstverständlich betrachtet hatte, nicht jedem gegeben war. So verstand ich auch erst im Rückblick, was zunächst Bruder Ottone im Kloster und später die Incomparabili dazu bewogen hatte, mich zum Schreibgehilfen zu ernennen.
Mein Aufstieg zum Autor war allerdings damit nicht erklärt – nach wie vor grübelte ich voller Selbstzweifel über die Gründe dieser unvermuteten Beförderung –, doch gesunder Pragmatismus ließ mich in der Regel rasch zu immer derselben Erkenntnis gelangen: Es war niemand anderer verfügbar, den sie hätten aktivieren können.
Die Vorstellung, Ciprianos Behauptung könne zutreffen – er hatte felsenfest darauf beharrt, dass von zwei Dutzend Leuten höchstens einer in der Lage sei, sich eine ausreichend lange, zusammenhängende und logisch durchdachte Geschichte auszudenken, insofern wäre ich ein Geschenk des Himmels für die Truppe gewesen –, erschien mir gar zu abstrus. Jeder denkende Mensch konnte Geschichten ersinnen, alles andere war Unfug! Sogar der debile Vater von Pater Anselmo hatte mit den spannendsten Geschichten aufwarten können, die nur so von unterhaltsamen Einzelheiten gestrotzt hatten, obwohl sie allesamt frei erfunden waren.
»Die Sache ist die«, hatte Cipriano noch angemerkt. »Einen ersten Akt können sich viele Menschen ausdenken. Das ist wie der Beginn eines Abenteuers, das sie schon immer gern erlebt hätten. Aber richtig schwierig wird es dann im zweiten Akt, und erst im dritten, wo alle Fäden zu verknüpfen sind! Nicht der Anfang ist die wahre Kunst, sondern die Mitte und das Ende sind es! Hier trennt sich die Spreu vom Weizen, glaub mir. Ich weiß, wovon ich rede.«
Bei diesen Worten hatte er ein wenig vergrämt dreingeschaut. Die Vermutung lag nahe, dass er sich bereits selbst am Stückeschreiben versucht hatte, doch ich sprach es nicht aus, zumal mich die stille Sorge plagte, mein Stück könne ebenfalls eines von jenen sein, die im dritten Akt zu Spreu zerbröselten.
Mittlerweile erwies sich diese Befürchtung als absolut berechtigt. Wie sollte ich einen dritten Akt schreiben, wenn ich nicht einmal den zweiten fertig bekam?! Dazu gesellten sich weitere Ungewissheiten. Wie konnte ich sicher sein, ob überhaupt der erste Akt dazu taugte, einen zweiten und dritten zu tragen? Womöglich war schon der Anfang so unzulänglich, dass der ganze Rest von vornherein zum Scheitern verurteilt war!
Die frische Luft half kein bisschen, also versuchte ich es, indem ich die Fäuste gegen die Schläfen presste. Mir fehlte der
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