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Der König Der Komödianten: Historischer Roman

Titel: Der König Der Komödianten: Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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Wendepunkt am Ende des zweiten Aktes!
    Denk nach!, befahl ich mir.
    Zunächst mussten noch mehr Verwicklungen her. Verwicklungen waren immer gut. Schnell entwarf ich eine Szene, in der Leandro aufgrund einer Verwechslung mit Flavio zuerst im Gefängnis landet und dann in den Palazzo des hinterlistigen Notars Dottore Barbarigo eingeladen und dort fürstlich von ihm bewirtet wird. Der Notar, welcher bekanntlich um Aurelia wirbt, hat Leandro (den er für Flavio hält) mit Aurelia sprechen sehen und will ihn als unliebsamen Konkurrenten um deren Gunst ausschalten, indem er ihm Gift ins Essen mischt. Leandro ist jedoch klug genug, nichts zu verzehren, weil ihm die Reichhaltigkeit der dargebotenen Speisen verdächtig vorkommt.
    In meinem Magen rumorte der Schinken, und unvermittelt überlegte ich, ob er sich hervorgespien ähnlich scheußlich ausnahm wie Muschelragout.
    Könnte es sein … Nein, ausgeschlossen. Hätte Morosini mich tatsächlich vergiften wollen, hätte er nicht Caterinahinzugebeten. Mir war einzig und allein von dem vielen Blut übel geworden. Und wegen der ausgestandenen Todesangst.
    Doch das war vorbei. Ich musste nur aufhören, ständig daran zu denken und mich stattdessen voll und ganz auf das Stück konzentrieren.
    Immerhin hatte ich etwas Neues geschrieben, meine innere Blockade war überwunden!
    Rasch warf ich noch einige Szenen aufs Papier, die sich gefällig in den Lauf der Handlung fügten. Nach der Gefängnisszene und jener im Haus des Notars folgte eine dramatische nächtliche Szene in der Unterkunft Leandros, wo ein gesichtsloser Attentäter ihn ermorden will, was nur durch die heldenhafte Gegenwehr Leandros verhindert werden kann. Allmählich dämmert es Leandro, dass nicht sein Doppelgänger Flavio das Ziel dieser Anschläge ist, sondern er selbst. Jemand in Venedig hat herausgefunden, dass er in Wahrheit ein reicher Erbe aus einem fernen Land ist, und dieser Jemand will ihn umbringen, um sich sein Erbe unter den Nagel zu reißen.
    Glücklich las ich, was ich geschrieben hatte – und es gefiel mir. Vielleicht war ich als Autor doch nicht gar so schlecht.
    Damit kam ich unwiderruflich zum Ende des zweiten Aktes, dem entscheidenden und markanten Wendepunkt, für den nur eine Szene infrage kam: Leandro und Flavio würden einander endlich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen.
    Ich war wieder voller Enthusiasmus, aber kaum hatte ich angesetzt, dieses erste richtige Zusammentreffen schriftlich festzuhalten, als ich auch schon innehielt, denn es tat sich ein wirklich gravierendes Problem auf. Bernardo spielte zwar eine Doppelrolle, konnte aber Leandro und Flavio nur nacheinander, keinesfalls gleichzeitig verkörpern. Es sei denn, Bernardo hätte genau wie ich irgendwo in Venedig einen Doppelgänger, der zufällig auch noch Schauspieler war, eine Option, die so wahrscheinlich war wie Schnee im August.
    Betroffen ließ ich die Feder sinken. Gerade dieseunmittelbare Konfrontation zwischen Leandro und Flavio hatte ich mir zur komischsten Stelle im ganzen Stück erkoren! Für den dritten Akt hatte ich mir sogar bereits mehrere Treffen der beiden ausgemalt, anlässlich derer sie verabreden, ihre Ähnlichkeit konspirativ für ihre Zwecke auszunutzen und damit ihre Feinde zu narren und zu besiegen.
    Wie um alles in der Welt hatte ich so dämlich sein können, zu übersehen, dass sich das nur auf dem Papier gut machte, aber mangels echter Doppelgänger nicht auf die Bühne zu bringen war?
    Geschwind dachte ich nach. Wie hatte Plautus bei seinen Menaechmi dieses Problem gelöst? Stück für Stück ging ich in Gedanken die alte Komödie durch, um am Ende triumphierend aufzuatmen: In der Schlussszene wurde anlässlich einer Gegenüberstellung der Zwillinge das ganze Verwirrspiel aufgeklärt, also gab es eine direkte Begegnung.
    Wenn aber die Doppelgängerszene bei Plautus funktioniert hatte, musste sie auch bei anderen Stücken möglich sein. Bühne war Bühne. Das Problem war somit lösbar – blieb nur noch zu klären, wie.
    Die anderen Truppenmitglieder wussten es bestimmt, auf jeden Fall aber Baldassarre, der in dramaturgischen Belangen ein alter Hase war und alles Wissen darüber erfreulich fest in seinem Gedächtnis verankert hatte.
    Am besten befragte ich ihn sofort, um gleich anschließend weiterschreiben zu können. Ich stöpselte das Tintenfass zu, erhob mich von dem provisorischen Schreibplatz und blieb vor dem offenen Fenster stehen, um mich zu dehnen und zu strecken, und weil niemand

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