Der König Der Komödianten: Historischer Roman
ging es los. Da ich die ganze Zeit nur gedöst hatte, sprang ich sofort auf, als der Lärm im Mezzà anfing, doch als ich in die Küche kam, war dort niemand mehr. Die Beteiligten hatten sich bereits in den Innenhof begeben. Franceschina stand dort, in der einen Hand den Knauf der offenen Pforte, in der anderen einen vollen Reisesack.
Rodolfo hatte sich vor ihr auf die Knie geworfen. Tränen strömten ihm über das Gesicht. »Geh nicht!«, flehte er. »Mag ich auch ein hässlicher Zwerg sein – ich kann dennoch versuchen, dich glücklich zu machen!«
Auch Franceschina weinte, doch sie sagte kein Wort, sondern schüttelte nur heftig den Kopf, trat auf die Gasse hinaus und warf das Tor hinter sich zu.
Rodolfo wischte sich ruckartig über die Augen und sprang auf. Mit der Faust schlug er so hart gegen das Tor, dass er sich die Handknöchel aufriss. Blut tropfte vor ihm auf das Pflaster des Hofs und leuchtete rot in der Morgensonne, bevor er sich mit gesenktem Kopf abwandte und wie ein geprügelter Hund ins Haus zurückging.
Auf der Außentreppe hatten sich die anderen versammelt, sogar Bernardo und Caterina standen dort, beide im Hemd und die Gesichter bleich vor Schreck. Cipriano saß auf einer der unteren Stufen, ebenfalls unvollständig angezogen und das helle Haar noch zerwühlt vom Schlaf. Oben an der Tür zum Piano Nobile waren, beide noch im Nachtgewand, Elena und Baldassarre zu sehen, die nun zögernd herunterkamen.
»Wo ist sie hingegangen?«, fragte Elena.
»Sie hat sich bei einer reichen Familie als Köchin verdingt«, sagte Cipriano tonlos. »Auf den Feiern, die der Hausherr gibt, soll sie die Gäste zusätzlich mit ihren Jonglierkünsten unterhalten.«
Iseppo war ebenfalls aus dem Haus gekommen. »Was ist mitRodolfo los? Er hat sich in seiner Kammer eingeschlossen, aber sein Schluchzen ist durch die Tür zu hören!«
Leise erklärte ich ihm, was geschehen war, worauf er bedrückt zu mir aufblickte. »Warum muss das Leben so grausam sein? Er ist ein Zwerg, aber seine Seele ist groß! Hätte Franceschina sich nicht überwinden können, ihn wiederzulieben?«
»Wo Überwindung ist, kann niemals Liebe sein«, sagte Caterina. Es klang herzlos, doch vermutlich hatte sie recht. Graziös drehte sie sich um und schritt die Treppe hinauf. Ohne ein Wort schob sie sich an Elena und Baldassarre vorbei und verschwand im Haus.
Bernardo ließ sich kraftlos auf die Stufen sinken und starrte auf das geschlossene Tor. »Sie hätte mit mir sprechen müssen, statt einfach wegzulaufen«, murmelte er.
Cipriano blickte über die Schulter zu ihm hinauf. »Was hätte sie denn von dir erbitten sollen? Überwindung? Oder etwa das, was du ihr ohnehin nicht geben kannst?«
»Wenigstens war sie klug genug, sich nicht an diesen Hofnarren wegzuwerfen«, sagte Bernardo angriffslustig.
»Der Narr bist und bleibst du«, versetzte Cipriano müde. Er erhob sich und ging an Bernardo vorbei ins Haus.
In lähmender Ereignislosigkeit verstrichen die Stunden, die auf Franceschinas Weggang folgten. Es gab keine Diskussionen, keine Zusammenkünfte. Im ganzen Haus herrschte Stille.
Ich drückte mich davor, an dem Stück zu arbeiten, obwohl Iseppo mir versicherte, er könne jederzeit wie geplant für Franceschina einspringen, ich solle es nur endlich fertig schreiben. Doch mir fehlte jeder Antrieb, es sei denn zu schlichtesten Verrichtungen, etwa das Feuer im Athanor zu prüfen oder nachzusehen, ob noch genug Schinken da war. Irgendwann hielt ich es im Haus nicht mehr aus. Bei glühender Mittagshitze verließich die Ca’ Contarini und stromerte durch die Stadt. Es war mir völlig gleichgültig, wem ich dabei über den Weg laufen mochte.
Einem Bootsmann, der vom Kai hinter der Madonna dell’ Orto nach Murano übersetzen wollte, zahlte ich ein paar Münzen dafür, dass er mich mitnahm. Auf diese Weise kam ich zum ersten Mal auf die Glasinsel. Hier waren die Häuser nicht so hoch und die Gassen und Kanäle nicht so unübersichtlich angeordnet. Die Anzahl der Kirchtürme war überschaubar, die Palazzi waren wesentlich schlichter als auf der Hauptinsel. Den entscheidenden Unterschied aber bildeten die vielen Glasbläsereien, die sich an den Hauptkanälen dicht an dicht aneinanderreihten. Hitze waberte über den Kaminen der Werkstätten, in denen die großen Öfen Tag und Nacht brannten, damit die Fioleri ihre weltbekannten Glaskunstwerke erschaffen konnten. Kostbare Pokale, Tropfen aus Kristall, feinwandige Karaffen oder einfach nur bunter
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