Der König Der Komödianten: Historischer Roman
bereits verneinen, denn Stauer fuhren nicht in die weite Welt hinaus. Doch dann durchfuhr mich blitzartig eine Erkenntnis: Ich musste überhaupt nicht in die weite Welt hinaus! Wenn ich hier im Hafen arbeiten konnte, erschloss mirdas die Möglichkeit, in Venedig zu bleiben! Ich könnte wie all die anderen Tagelöhner in einem der Mietshäuser wohnen, wo ich niemandem weiter auffiel. Ich würde mich kleiden wie ein Stauer und reden wie ein Stauer. Und ich konnte mir einen Bart wachsen lassen, dann würde mich erst recht kein Mensch erkennen!
das die Möglichkeit, in Venedig zu bleiben! Ich könnte wie all die anderen Tagelöhner in einem der Mietshäuser wohnen, wo ich niemandem weiter auffiel. Ich würde mich kleiden wie ein Stauer und reden wie ein Stauer. Und ich konnte mir einen Bart wachsen lassen, dann würde mich erst recht kein Mensch erkennen!
Gleichsam aus sicherer Entfernung könnte ich über Elena wachen, und falls sie die Stadt verließe, würde ich es mitbekommen und könnte ihr – wieder in sicherer Entfernung – folgen und so an ihrem Schicksal Anteil nehmen.
Und schließlich: Wer bestimmte eigentlich, dass ich fliehen musste? Würde etwa Leandro das Hasenpanier ergreifen, nur weil ihn eine Meute raffgieriger Intriganten bedrohte? Nein, er würde bleiben und seinen Mann stehen, notfalls unter Einsatz seines Lebens!
Auf einmal sah ich wieder Licht am Horizont.
Teil 9: Venedig, Juli 1594
Alles ging leichter vonstatten als erwartet. Der Sopracomito, auf dessen Schiff die Fracht zu verstauen war, besorgte mir sogar eine Bleibe in Castello. Das Zimmer, in dem ein Schlafplatz frei geworden war, musste ich zwar mit zwei anderen Männern teilen, aber dafür war die Miete niedrig und der Weg zur Arbeit kurz. Und Arbeit gab es am Kai und in den Docks mehr als genug, täglich wurden aufs Neue Lastenträger angeheuert, die auf den Schiffen und in den Magazinen alle Hände voll zu tun hatten. Dafür wurde ihnen der Lohn jeden Tag bar auf die Hand gezahlt, ein weiterer Vorteil, wenn man so wie ich gewissermaßen auf dem Sprung lebte. Man konnte sich mit einem frei erfundenen Namen zu den täglich wechselnden Lohnlisten anmelden, und niemanden störte es, wenn man sich nach einer Weile einen anderen ausdachte. Hauptsache, man stand pünktlich parat, hielt den ganzen Tag durch und ließ beim Tragen und Verstauen der Lasten nichts fallen.
Zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, nur unterbrochen durch kurze Pausen, schleppte ich Kisten und Säcke an Deck der Schiffe und von dort über schwankende Trittleitern in die Frachträume. Von anderen Schiffen schaffte ich auf dem gleichen Wege Säcke und Kisten hinunter, zu den Magazinen oder auf Karren und Lastflöße für den Weitertransport.
Ich lernte zu fluchen und zu spucken wie die anderen Hafenarbeiter, und nach kurzer Zeit hatte ich auch heraus, wie mansogar die schwersten Lasten tragen konnte, ohne darunter zusammenzubrechen. Dabei kam es auf die richtige Technik an, was ich vorher so nicht vermutet hatte. Es war längst nicht alles nur eine Frage roher Muskelkraft, sondern eher eine von Hebelwirkung und Anspannung. In den ersten drei Tagen spürte ich meinen Körper kaum vor Schmerzen und fühlte mich wie ein Invalide, während Männer, die deutlich kleiner und leichter waren als ich, behände daherkamen und Kisten hochwuchteten, die ich allein kaum hätte lüpfen können. Durch meine Jugend und meinen Eifer holte ich jedoch schnell auf. Nach einer Woche bewältigte ich dasselbe Pensum wie die erfahrenen Stauer, und die blutigen Schrunden an meinen Händen verwandelten sich allmählich in Schwielen.
Wenn ich abends in die stickige, viel zu kleine Kammer zurückkehrte, war ich meist so erschöpft, dass ich nur noch auf mein Lager sinken und sofort einschlafen konnte. Nicht nur an den rauen Ton meiner Mitbewohner, sondern auch an den allgegenwärtigen Dreck und den Gestank ungewaschener Leiber gewöhnte ich mich binnen kurzer Zeit. Als Hafenarbeiter durfte man in diesen Dingen nicht zimperlich sein. Man rasierte sich nur sonntags – falls man sich nicht wie ich einen Bart stehen ließ – und badete bestenfalls an hohen Festtagen, von denen jedoch vorerst keiner anstand. Tagein, tagaus trug man dieselbe Kluft, und erst, wenn sie vor Dreck starrte oder so fadenscheinig wurde, dass man hindurchsehen konnte, kam ein Wechsel in Betracht. Idealerweise zog man so wenig wie möglich an, wobei mir das sommerliche Wetter entgegenkam: Wegen der Hitze ließ ich
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