Der König Der Komödianten: Historischer Roman
doch! Ich kann nicht leben ohne ihn! Es zerreißt mir das Herz, nicht bei ihm sein zu können! Kein Mann versteht mich wie er! Niemand sieht mich, so wie ich wirklich bin. Nur er!«
Ratlos hörte ich ihre Erklärungen an, verstand und verstand doch wieder nicht.
»Vielleicht war es am Ende einfach zu viel für ihn«, sagte ich lahm.
Sie nickte mit gesenktem Blick. »Kann sein. Wer erträgt schon dieses Leben auf Dauer, dieses krankhafte Wechselbad der Gefühle.« Sie schwieg, und erst nach einer Weile fuhr sie fort: »Zwei Männer tot – meinetwegen! Ich verdiene es, in der Hölle zu schmoren!«
»Nun ja, es war ziemlich scheußlich, das ganze Blutwegzuschrubben«, räumte ich ein. »Aber sie waren beide keine unschuldigen Waisenknaben. Im Gegenteil.«
»Das ist mein einziger Trost. Und dabei wollen wir es bewenden lassen.« Caterina legte mir die Hand auf die Schulter. »Meine Pause ist vorbei. Ich muss wieder hinein. Matilda bezahlt mich nicht nur fürs Tanzen, sondern auch fürs Servieren, und später singe ich noch ein, zwei Lieder. Aber vielleicht sehen wir uns künftig öfter. Du musst mir alles erzählen, was du über die anderen in Erfahrung bringst.« Niedergeschlagen hielt sie inne, bevor sie leise schloss: »Solange sie noch da sind.«
Ich schickte den Jungen, der mich über die Incomparabili auf dem Laufenden hielt, auch regelmäßig zum Haus von Morosini, um schnellstmöglich von Giovannis Rückkehr zu erfahren. Der Junge sah zwar Morosini und die Dienstboten ein und aus gehen, aber niemals einen jungen großen Mann, der eine gewisse Ähnlichkeit mit mir hatte – so meine Beschreibung, damit er wusste, nach wem er Ausschau halten sollte.
Tag um Tag verstrich, ohne dass ich Neues erfuhr. Giovanni hatte mir zwar vor seiner Abreise nicht mitgeteilt, wie lange er auf der Terraferma bleiben wollte, aber da er mittlerweile seit Wochen weg war, begann ich mir langsam Sorgen zu machen. Am ersten Sonntag im Juli ging ich frühmorgens zu Morosinis Haus, im Kopf die vage Hoffnung, vielleicht mehr Glück zu haben als der von mir angeheuerte Junge. Falls nicht, so mein Plan, wollte ich bei Adelina vorbeischauen. Möglicherweise wusste sie etwas über Giovannis Verbleib.
Das Haus wirkte verlassen, die Fassade seltsam kalt und abweisend.
»Marco!« Morosini stand oben in der Loggia des Piano Nobile und sah zu mir herunter. »Um Gottes willen, du bist hier! Warte!« Er verschwand kurz und tauchte wenig später in derlandseitigen Gasse auf. Eilig kam er über die Brücke zu mir herüber und legte mir beide Hände auf die Schultern. Seine Miene drückte Erleichterung aus. »Dem Himmel sei Dank, dass ich dich wiedersehe! Ich habe darum gebetet, es aber nicht zu hoffen gewagt.«
»Was ist denn geschehen?«, fragte ich, von einem unguten Gefühl erfasst.
»Ach, es ist so furchtbar! Giovanni ist tot.«
Wie unter einem Schlag zuckte ich zurück.
»Was ist passiert?«, stieß ich hervor.
»Er kam vor zwei Wochen bei einem Feuer ums Leben. Die Herberge auf der Terraferma, in der er nächtigte, brannte bis auf die Grundmauern nieder.« Er senkte den Kopf. »Man konnte nur verkohlte Asche bergen.«
Mir war schlecht, alles drehte sich um mich. Mein Bruder lebte nicht mehr! Ich hatte ihn nur kurz gekannt, und doch kam es mir in diesem Augenblick so vor, als hätten wir schon immer zusammengehört.
»Marco?«, fragte Morosini besorgt. Er hielt mich bei den Schultern fest, als fürchte er, ich könne fallen.
Ich machte mich brüsk los. »Es geht schon.« Ich merkte, dass ich mich im Ton vergriff. »Es tut mir leid. Ich … Die Nachricht trifft mich hart. Ich muss eine Weile allein sein.«
»Das verstehe ich«, erwiderte Morosini. »Ich konnte es auch nur langsam begreifen.« Eindringlich fügte er hinzu: »Versprich mir nur, dass du wiederkommst, sobald du dich gesammelt hast. Ich möchte mit dir zur Kirche gehen und ein Requiem für Giovanni beten lassen. Das hätte er sich bestimmt gewünscht. Kommst du zurück? Zur Terz?«
Ich murmelte eine Zustimmung und rannte davon.
Wie blind lief ich durch die Gassen und rief mir jedes Wort meiner letzten Unterhaltung mit Giovanni in Erinnerung. Mein verfluchtes Gedächtnis half mir dabei, es ließ keineneinzigen Satz, keine einzige Redewendung von ihm aus, alles rollte vor meinem inneren Auge ab, als hätte er eben erst zu mir gesprochen.
Auf bald, mein Bruder. Pass gut auf dich auf …
Ich hatte auf mich aufpassen können, aber ihm hatte das nicht geholfen.
Kreuz
Weitere Kostenlose Bücher