Der König Der Komödianten: Historischer Roman
die ganze Zeit hergetrottet war, schienen die Leute in Scharen aus ihren Behausungen auf den weiten Platz zu locken. Daraus schloss ich, dass dies ein Markt sein müsse, denn von allen Seiten her strömten Menschen herbei, um bei den Händlern einzukaufen. Hier und da pries einer der Verkäufer lauthals seine Ware, an anderer Stelle wurde gefeilscht, und an manchen Ständen blieben die Leute in Gruppen stehen, um miteinander zu palavern. In Henkelkörben und Kiepen trugen sie ihre Einkäufe mit sich, und der eine oder andere aß gleich an Ort und Stelle, was er erworben hatte. Es gab Gemüse und Obst, frisches Brot, Wein in Schläuchen, Fässchen mit Öl, Dauerwurst und Pökelfleisch, Räucheraal, süßes Gebäck, Schnapskrüglein und vieles andere mehr.
Der Duft nach Essen, der mich von einigen Marktständenanwehte, weckte meinen Hunger und machte mir schmerzlich bewusst, dass ich alles, was Iseppo mir mitgegeben hatte, längst vertilgt hatte. Unvermittelt wurde mir klar, dass ich keinen einzigen Soldo in der Tasche hatte. Zum ersten Mal seit meinem Aufbruch in der vergangenen Nacht begann ich, mir leichte Sorgen zu machen. Nach allem, was ich bisher wusste, hatte ich reich geerbt. Doch an dieses Vermögen konnte ich nicht heran. Und nun hatte ich Hunger und konnte mir nichts zu essen kaufen.
Mein Blick fiel auf einen Bettler, der bei einer Säule hockte und mit klagender Stimme die Passanten um Almosen anging. Sein rechtes Bein steckte in einer Schiene, und neben ihm lagen Krücken. Noch am Vortag hätte ich ebenfalls von dieser Möglichkeit der Geldbeschaffung Gebrauch machen können, doch dafür war es nun zu spät.
Mein Hunger wurde mit jedem Atemzug schlimmer, fast war es so, als teilte sich die Tatsache, dass ich kein Geld für Essen hatte, auf direktem Wege meinem Magen mit, der daraufhin wütend zu knurren begann.
Arbeit!, dachte ich. Ich musste mir Arbeit besorgen! Kaum hatte ich diesen einleuchtenden Vorsatz gefasst, machte ich mich ohne Umschweife daran, ihn zu verwirklichen. Ich ging zu einem der Stände und trug dem Besitzer, einem Bauern, der mir ziemlich alt und schwächlich vorkam, meine Dienste an.
»Ich möchte mich bei Euch verdingen«, sagte ich mit meinem freundlichsten Lächeln. »Ich bin gesund, stark und ausdauernd.«
Der Bauer starrte mich an. »Verschwinde, du widerwärtiger Sodomit!« Er warf einen Apfel nach mir, den ich reflexartig auffing. Das Kissen fiel dabei zu Boden; ich hob es rasch wieder auf und wich ein paar Schritte zurück, bevor mich weitere Wurfgeschosse treffen konnten, die deutlich fauliger waren als das erste, das, obschon von der langen Lagerung über den Winter recht verschrumpelt, noch einen durchaus genießbarenEindruck machte. In Windeseile hatte ich die unverhoffte Beute aufgegessen.
Mein Hunger wurde davon jedoch nicht gestillt, sondern erst recht angeregt. Ich wanderte zwischen den Marktständen umher und blieb schließlich vor einem Karren stehen, an dem zuckrige Schmalzkringel feilgeboten wurden. Mit grummelnden Eingeweiden sann ich darüber nach, wie ich in den Genuss einer dieser fetttriefenden Köstlichkeiten kommen konnte, doch auf die Schnelle fiel mir nichts ein. Mit einem Mal sank mir der Mut, und jäh traf mich nun auch wieder die Trauer über den Tod Onkel Vittores. Vermisst hatte ich ihn die ganze Zeit schon, doch während der Wochen im Kloster hatte ich mich mit Fluchtgedanken und Phantasien über Quellnymphen ablenken können. Nur manchmal, mitten in der Nacht, war ich aufgewacht, die Wangen nass vor Tränen.
Verzagt legte ich das Kissen auf die steinerne Einfassung einer Zisterne, setzte mich darauf und deponierte den Kohlkopf zwischen meine Knie. Ob ich davon essen konnte, obwohl er roh war? Mir fiel ein, dass Paulina hin und wieder ein Gericht zubereitete, für das sie Kohl klein schnetzelte und in einer Essigbeize einlegte, ohne den Kohl vorher zu kochen. Probehalber pulte ich ein Blatt von dem Kohlkopf, biss davon ab, kaute vorsichtig und spuckte es eilig wieder aus. Genauso gut hätte ich mein Papier essen können.
Nun, was das anging – essbar war das Papier nicht, aber wenigstens konnte ich darauf schreiben. Spontan zog ich einen fingerbreiten Stoß davon aus meinem Reisesack, schüttelte das Tintenfass und kratzte den Federkiel sauber. Als Schreibunterlage benutzte ich die Mauer, auf der ich saß. Unter heftigem Gekleckse und mehrmaligem Durchstoßen des Papiers floss mein ganzes Herzeleid in die rasch hingeworfenen Zeilen.
Der
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