Der König Der Komödianten: Historischer Roman
mir mein Stück am Herzen liegt. Und du?«
»Weil es ein Jammer wäre, wenn ich die Rolle umsonst eingeübt hätte.«
Wir wussten beide, dass wir mit unseren Antworten nur an der Oberfläche kratzten. Die wahren Beweggründe, seine und meine sowie die der anderen, lagen auf einer ganz anderen Ebene, weil sie aus Sehnsüchten, Hoffnungen, Ängsten bestanden, die jeder Mensch, auch der leidenschaftlichste Schauspieler, lieber für sich behielt. Vom Autor ganz zu schweigen. Der Autor schreibt nie, was er wirklich denkt. Worte legt er immer nur anderen in den Mund, zumeist beliebige Phrasen. Muten diese ausnahmsweise tiefgründig an, kann er sich auf den Zufall berufen. Oder, falls er hoffärtig ist, auf seine Genialität, die ihn befähige, Sinnhaftigkeit zu schaffen, wo andere nur Plattitüden hervorbringen.
Was aber, wenn die Worte weinen, lachen, leiden machen?
Wenn sie die Seele berühren?
Ich glitt in den Schlaf und träumte, dass ich Worte schrieb, die sich in goldene Bänder verwandelten und in die ganze Welt hinausflatterten. Jeder, der sie sah, wurde von ihnen verzaubert und konnte fühlen, was ich fühlte. Unsere Seelen vereinten sich, umschlungen von den goldenen Bändern. Allenthalben herrschte Jubel, es war die schiere Glückseligkeit, Erfüllung durch schöpferische Magie.
Dann fiel ich aus dem Bett und landete hart auf dem Fußboden und in der Wirklichkeit. Wie schon in der vergangenen Nacht hatte ich gegen die platzraubenden Ungetüme von Lavendelkissen den Kürzeren gezogen.
Iseppo wälzte sich im Schlaf herum. »Sie kommen alle!«, stöhnte er.
»Nein«, sagte ich. »Es war nur ein Traum. Ein dämlicher, unmöglicher Traum.«
Ich kroch ohne die Kissen zurück ins Bett und schlief wieder ein.
Meine Bleibe in Castello gab ich auf, ebenso die Schufterei im Hafen. Ich ließ Morosini einen Brief zukommen, in dem ich ihm nochmals für sein freundliches Angebot dankte, mir aber weitere Bedenkzeit ausbat, auch angesichts des Umstandes, dass die Incomparabili gerade ein neues Stück einstudierten, zu dessen Uraufführung am Vorabend des Redentore-Festes ich ihn freundlichst einlud.
Er schrieb zurück, dass er sich sehr auf die Vorstellung freue und mir für meine Arbeit an dem Stück alles Gute wünsche. In einem Nachsatz erwähnte er, dass Celsi verreist sei. Mit dieser beiläufigen Information tat er mir einen weiteren Gefallen in der Reihe all derer, die er mir schon erwiesen hatte, denn nun konnte ich mich endlich sicher fühlen.
Die darauffolgende Woche bestand aus harter, konzentrierter Arbeit. Ich war wieder mit Leib und Seele Autor und feilte an einzelnen Szenen und ihrer Reihenfolge, während die Truppe täglich stundenlang auf der Bühne stand und probte. Zwischendurch wurden alle möglichen Einwände und Anregungen diskutiert und Ergebnisse schriftlich niedergelegt. Hier wurde eine Szene von den Schauspielern verworfen, weil sie überflüssig schien, dort wurde eine andere verlängert oder hinzugefügt, um den Gang der Geschehnisse besser zu erklären, und stets wurde die jeweils neue Fassung gleich im Anschluss auf der Bühne eingeübt. Beinahe mühelos ließ sich ein Teil nach dem anderen auf diese Weise in die endgültige Version des Canovaccio eingliedern, sodass sukzessive und unter Mitwirkung aller das vollständige Stück auf der Bühne entstand.
Nach den Vorschlägen der Incomparabili hatte ich den Schluss neu geschrieben. Alle waren übereinstimmend der Ansicht, es könne nicht angehen, dass nur Leandro und Aurelia Eheglück vergönnt sei, während Flavio den Heldentod sterben und Rosalinda männerlos ins Kloster gehen müsse. So viel Tragik verkrafte eine Komödie nicht. Kurzerhand war entschieden worden, Flavio wohlbehalten von seiner Reise zurückkehren zulassen, womit alle vier Innamorati einander am Ende paarweise und glücklich in die Arme sinken konnten.
Erstaunlicherweise gab es bei den Proben kaum Streit, jeder war mit Aufmerksamkeit und Hingabe bei der Sache und gab sein Bestes.
Bernardo trank keinen Tropfen Alkohol mehr und lief binnen weniger Tage zu Höchstform auf. Er beherrschte die Rollen des Leandro und des Flavio mit nahezu traumwandlerischer Perfektion. Sein Zusammenspiel mit Caterina wirkte zwar auf mich manchmal ein wenig gezwungen, doch das war der besonderen Situation geschuldet und fiel nur auf, wenn man es wusste. Außerhalb der Proben, etwa bei den gemeinsamen Mahlzeiten in der Küche, behandelten sie einander höflich, vermieden aber private
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