Der König Der Komödianten: Historischer Roman
unverwechselbar?«
»Er könnte eine Verwundung erlitten haben«, sagte ich. »Eine ehrenvolle Verletzung bei einer großen Schlacht.«
»Welche?«
»Die Seeschlacht von Lepanto«, erwiderte ich.
»Nein, ich meine, welche Verletzung sollen wir ihm andichten?«
»Vielleicht hat er eine Hand verloren«, schlug ich vor.
»Schlecht darzustellen, es sei denn, man hätte zufällig einen einhändigen Schauspieler für die Rolle zur Verfügung.«
Das sah ich ein. Also keine Verwundung.
»Was würde dich an einem Mann wie ihm interessieren?«, wollte Bernardo wissen. »Ich meine, neben seinen Verdiensten im Krieg.«
Ich zuckte die Achseln und überlegte ins Blaue. »Ob er eine Frau hat?«
»Gut. Fragen wir uns also, ob er eine Frau hat.«
»Das weiß sicher Messèr Baldassarre«, sagte ich. »Wo ist er eigentlich?«
»Keine Ahnung. Vielleicht auf dem Abtritt.«
»Dann frage ich ihn, sobald er zurückkommt.«
»Was willst du ihn fragen?«
»Ob Don Juan de Austria eine Ehefrau hatte.«
»Das müssen wir nicht herausfinden«, widersprach Bernardo. »Was wir nicht wissen, denken wir uns aus. Das nennt man künstlerische Freiheit! Merke dir: Der Autor ist der Herr des Stücks, niemand sonst. Auch die Figuren sind uns untertan, von Anfang an!« Bernardos Stimme klang immer noch leicht verwaschen, aber seine Gedanken schienen völlig klar zu sein. »Stellen wir uns also die Ehefrau dieses stolzen, tapferen Mauren einfach als gegeben vor! Erzähl mir, was sie auszeichnet!«
»Sie ist wunderschön und kann singen«, sagte ich ohne nachzudenken.
»Das ist gut. Das ist sehr gut!« Bernardo stach gebieterisch mit dem Finger in meine Richtung. »Schreib es auf !«
Ich gehorchte, während Bernardo fortfuhr: »Wir müssen festlegen, wo die beiden leben.«
»In Venedig«, schlug ich sofort vor.
»Eine gute Stadt für ein neues Stück«, stimmte Bernardo zu. »Schreib es auf.«
Das tat ich und blickte dann erwartungsvoll zum Bett.
»Kommen wir nun zu den Konflikten«, sagte Bernardo. »Ein gutes Stück braucht gute Konflikte, und man muss sie im ersten Akt erfahren. Welche Konflikte hat unser Held?«
»Er ist aus nichtigem Grund eifersüchtig«, platzte ich heraus. »Bis zum Wahnsinn! Bereit zu morden und alles, was er je liebte, zu opfern, allein aus der Verblendung der Eifersucht heraus!«
Bernardo starrte mich an, und für einen Augenblick war ich sicher, er werde aus dem Bett springen und mich mit dem Schwert durchbohren, doch dann sagte er in beinahe ehrfürchtigem Ton: »Das ist genial! Was für eine Idee! Welche Tragik, welche Tiefe liegt darin begründet! Ein starker Charakter, edel und tapfer, dabei aber auch gebrochen und vielschichtig!« Er schüttelte den Kopf. »Nicht zu fassen. Da kommt ein Anfänger daher und ersinnt einen Konflikt, wie er vielversprechendernicht sein könnte! Selbstverständlich können wir daraus keine Komödie machen, so viel muss dir klar sein. Ah, endlich wieder ein Drama! Was für eine Wohltat nach den immer gleichen öden Schwänken!« Sinnend schloss er die Augen und legte die Fingerspitzen an die Schläfen. »Mehr davon, Marco. Erzähl mir von Don Juans Eifersucht!«
Und so fing ich an zu fabulieren, zögernd zunächst, dann aber immer eifriger. Don Juan – der, wie ich inzwischen begriffen hatte, bis auf den Namen eine völlig fiktive Persönlichkeit war – kommt aus dem Krieg zurück, gemeinsam mit seinem vaterlosen jungen Adjutanten, der ihm als Schützling anvertraut ist. Eben jener Adjutant entbrennt in Liebe zur schönen Gattin des Don Juan, die jedoch ihrem Gemahl in unverbrüchlicher Treue ergeben ist und die Verehrung des Adjutanten taktvoll ignoriert.
»Dieser, ein edler junger Mann von hohen Prinzipien, versagt sich daraufhin alle weitergehenden Gefühle«, erklärte ich, fleißig meine Notizen ergänzend. Ich war bereits auf der dritten Seite angelangt.
»Ah«, seufzte Bernardo. »Was für eine Konstellation! Damit ist der Keim der Tragödie gelegt. Nun brauchen wir den bösen Dritten, den Unheilstifter, der die fatale Situation für seine ruchlosen Zwecke ausnutzt.«
»Der könnte ein Notar sein!«, sagte ich.
»Zu knöchern.«
»Ein geldgieriger Geistlicher, vielleicht ein Klostervorsteher?«
Bernardo schüttelte den Kopf. »Pfaffen dürfen in Theaterstücken nicht zu schlecht wegkommen, dergleichen ruft schnell die Inquisition auf den Plan.« Er dachte nach. »Ein Politiker. Politiker sind immer gut. Im Sinne von schlecht, versteht sich. Niemand kann sie
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