Der König Der Komödianten: Historischer Roman
am Ende sollte er immerhin Rosalinda freien, und welche schöne Frau wollte schon einen armen Schlucker zum Manne. Aber einstweilen konnte er nicht mit seinem Reichtum auftrumpfen, weil er … weil er … Ich dachte nach. Ein Schiffbruch! Leandro hat alles, was er an Preziosen mit sich führte, bei einem Sturm auf See verloren; das Schiff ist gesunken, die Diener verschollen. An sein Vermögen kann er erst wieder heran, wenn er in das ferne Land zurückkehrt, und bis dahin ist er ausschließlich auf seinen Mut und seine Männlichkeit angewiesen.
Frohlockend schrieb ich die komplette Vorgeschichte nieder, die zugleich den Auftakt zu Leandros erstem Auftritt bildete.
1. Akt – 1. Szene – am Strand von Venedig.
Als einziger Überlebender wird Leandro nach dem Schiffbruch an die Gestade der Lagune gespült …
»Wir erreichen übrigens gleich die Gestade der Lagune«, sagte Elena. Sie stand hinter mir und las, was ich geschrieben hatte,während ich gegen den Drang ankämpfte, das Blatt mit der Hand zu bedecken. Ersatzweise streute ich reichlich Löschsand über die frische Tinte. Rodolfo hatte sich diskret woanders hingesetzt, als ich mit dem Schreiben begonnen hatte, doch Elena lag derlei Rücksichtnahme offenbar fern.
Irritiert blickte ich zu ihr hoch. »Was ist?«
»Gleich ist die Fahrt zu Ende«, sagte Elena. Sie deutete auf eine dörfliche Ansiedlung zu ihrer Linken. »Dort vorn mündet der Kanal in die Lagune. Wenn du also besagte Gestade selbst sehen willst, statt sie dir bloß auf dem Papier vorzustellen, musst du den Schreibkram jetzt wegpacken und hinschauen.«
Rasch verstaute ich mein Schreibzeug und stand von der Bank auf, um eine bessere Sicht zu haben. Dass wir uns dem Meer näherten, war mir bereits vor einer Weile daran aufgefallen, dass das Land immer flacher und die Vegetation spärlicher wurde. Nun jedoch sah ich zum ersten Mal nur wenige Steinwürfe voraus das Wasser der Lagune leuchten, das im Licht der tief stehenden Nachmittagssonne von überraschender Farbintensität war, ein Gemisch aus sattem Blau und tiefem Türkis. Vereinzelt waren in der weiten Wasserfläche dunkle Flecken von Land zu erkennen, verstreut liegende kleinere Inseln, von denen es, wie ich gehört hatte, in der Lagune unzählige gab.
Schwer und feucht drang der Geruch nach dem Meer in meine Nase. Der Eindruck von Weite und blendender Helligkeit war überwältigend, und ich beschattete die Augen mit der Hand, weil das strahlende Licht so fremd für mich war.
Stumm ließ ich die ungewohnten Eindrücke auf mich wirken, bis wir an einem Landungssteg anlegten und unser Gepäck von dem Treidelkahn auf Segelboote luden, mit denen wir das restliche Stück der Reise zurücklegen sollten.
Im Gegensatz zu dem flachen, ruhig im Wasser liegenden Flusskahn schwankte das Boot beträchtlich, was in mir das Bedürfnis weckte, mich irgendwo festzuklammern. Das versagteich mir jedoch, als ich sah, mit welcher eleganten Leichtigkeit Elena zu einer der Sitzbänke schritt.
Ich setzte mich neben sie, und Henry nahm an meiner anderen Seite Platz. Er wusste, dass ich zum ersten Mal das Meer sah, und nun übernahm er es geduldig, mir all das Neue zu erklären, da er selbst schon häufig die Lagunenstadt besucht hatte.
Die Boote, so erklärte er, hießen Sàndoli , neben den Gondeln die wichtigsten Fortbewegungsmittel innerhalb der Lagune.
»Der Sàndolo bietet den Vorteil, dass man ihn nicht nur segeln, sondern auch rudern kann«, sagte Henry. »Es gibt große und kleine davon, je nach ihrem Zweck. Die Fischer fahren mit diesen Booten hinaus, und man kann mit ihnen Lasten und Menschen zwischen den Inseln befördern. Für die weiteren Strecken, auch außerhalb der Lagune, werden die Galeeren benutzt, die ebenfalls sowohl unter Segeln fahren als auch gerudert werden können. Auf den Kanälen der Stadt hingegen werden wir, abgesehen von den Lastflößen, hauptsächlich Gondeln sehen, von denen es Tausende gibt, alle gleich geformt, aber jede einzelne ein Meisterwerk der Handwerkskunst.«
Es kam mir absurd vor, dass ein Engländer mir, der ich nur drei Tagesreisen von der Lagune aufgewachsen war, die Besonderheiten des venezianischen Wasserverkehrs erklären musste. Auch der schiffbrüchige Leandro, so fiel mir dabei ein, würde erst lernen müssen, sich in dieser für ihn fremden Welt zurechtzufinden. Der Capitano würde ihm dabei helfen, beschloss ich. Der Offizier war gerade von seinem letzten Feldzug aus der Fremde zurückgekehrt und
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