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Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)

Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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und biss dann hinein, fast sanft, aber er zuckte zusammen. »Ich weiß, welch eigentümliche Wünsche dich plagen«, murmelte sie. »Aber es gibt keinen Grund, sich dessen zu schämen, weißt du.«
    Mit einem Lächeln, das alle Freuden des Paradieses zu verheißen schien, nahm sie ihm das Tuch ab und ging zur Tür.
    »Wo … wo finde ich dich?«
    Lilian zog den Riegel zurück und nannte ihm die Adresse.

London, August 1332
     
    E s war mörderisch heiß. Die Sonne hing wie eine geschmolzene Kupfermünze am gelblichen Himmel und kochte die Stadt nach und nach weich. Seit Tagen regte sich kein Lufthauch. Die Milch wurde schon morgens sauer, und glücklich konnten sich die wenigen Londoner schätzen, die einen eigenen Brunnenim Hof hatten, in dessen Schacht man an ein langes Seil einen Krug Ale hängen konnte, sodass man hin und wieder einen kühlen Schluck zu trinken bekam. In den Elendsvierteln am Hafen starben die Kinder am Fieber. Auf dem Lande bangten die Bauern um ihre Ernten, und Vater Gilbert hatte die Tuchhändler und deren Familien für den heutigen Abend in die Kirche bestellt, um in einem Bittgottesdienst um baldigen Regen zu beten.
    Crispin stand am Schreibpult und studierte die letzten Einträge in einem der Bücher. Dumpfes Licht, Hitze und üble Dämpfe kamen durchs Fenster, und der Junge wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. Vor seinen Augen flimmerte alles. »Tut mir Leid, Sir, vermutlich kocht mein Hirn, aber ich verstehe diese Zahlen nicht. Was heißt ›Agent Essex 1 L / 1 s‹? Und hier: ›Transport 10 s / 6 d‹? Wieso stehen hinter jedem Posten zwei Zahlen? Und die zweite ist jeweils viel zu niedrig.«
    Jonah war dabei, sein Tuchlager aufzuräumen. Die Bestände waren sichtlich geschrumpft, und das hatte sich als kluge Entscheidung erwiesen: Wie er vorhergesehen hatte, war derzeit kaum jemand in London, der als Kundschaft für kostbare Tuche in Frage kam, höchstens die Frauen seiner reichen Konkurrenten, die vermutlich lieber nackt auf die Straße gegangen wären, als bei Jonah Durham zu kaufen. Aber er fand den Anblick der leeren Regale trotzdem deprimierend. Dankbar für die Unterbrechung trat er zu seinem Lehrling ans Pult und wies auf die Zahlenreihen. »Die erste Spalte bezeichnet die Gesamtkosten des Postens. Ich musste dem Agenten in Essex ein Pfund für seine Dienste zahlen. Die zweite Spalte ist die interessantere, sie bezeichnet die Stückkosten.«
    »Stückkosten?«, wiederholte Crispin verständnislos.
    »Die Kosten pro Sack Wolle. Ich habe zwanzig Sack gekauft. Die Kosten des Agenten in Essex geteilt durch die gesamte Anzahl der Säcke ergibt einen Shilling – ein Pfund hat, wie du dich erinnern wirst, zwanzig Shilling.«
    Crispin grinste. »Vielen Dank, Sir, so viel weiß sogar ich. Aber ich verstehe es trotzdem nicht, denn Ihr bekommt nicht alle zwanzig Sack aus Essex.«
    »Das spielt keine Rolle. Die Kosten für den Agenten in Kent werden auch durch zwanzig geteilt. Ebenso alle Transport- und Lagerkosten und die Exportzölle. Wenn ich diese Stückkosten alle beziffert habe und aufaddiere, sehe ich, wie viel genau ein Sack Wolle mich gekostet hat. Ich stelle es dem Verkaufserlös pro Sack gegenüber und weiß, was ich wirklich verdient habe. Der Kaufpreis pro Sack allein sagt ja gar nichts aus.«
    Crispin nickte zustimmend. »Ich habe noch nie von einer solchen Buchführung gehört, aber es ist eine geniale Idee.«
    »Sie stammt nicht von mir. Die florentinischen Kaufleute rechnen so; Giuseppe Bardi hat es mir erzählt.«
    Meurig trat ein und unterbrach sie, ehe Crispin zum wiederholten Male sein Misstrauen gegenüber den ausländischen Bankiers zum Ausdruck bringen konnte.
    »Am Tor steht eine Fremde, die stundenlang auf mich eingeredet hat, aber ich hab kein Wort verstanden bis auf etwas, das ›Jonah Durham‹ geheißen haben könnte«, berichtete der Diener.
    »Dann führ sie her.« Jonah dachte bedauernd, dass seine spärliche Auswahl einen schlechten Eindruck auf eine neue Kundin machen musste. Er verscheuchte Ginger, der auf einem Ballen weinroten Kammgarns schlief. »Du bist wohl der Einzige, dem nicht zu heiß ist«, murmelte er. »Verschwinde, fang ein paar Ratten.«
    Der so rüde Gestörte warf seinem Herrn einen vorwurfsvollen Blick zu und stolzierte hinaus.
    Gleich darauf erschien Meurig mit der Fremden. Jonah sah auf den ersten Blick, dass sie nicht gekommen war, um seine Restbestände an venezianischer Seide aufzukaufen. Die Frau trug ein schlichtes,

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