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Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)

Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Bethlehem darstellen würden, da das Schauspiel größere Mengen an Blut erforderte, und sie war fest entschlossen, vorher nach Hause zu gehen. Aber im Augenblick konnte sie nicht an den blutreichen Kindermord denken. Gebannt sah sie zu dem prachtvoll ausgestatteten Wagen der Tuchhändler auf, litt und lachte mit Mak dem Dieb, der schließlich entlarvt und bestraft und dann, als der Engel kam und den Hirten die Geburt des Erlösers verkündete, geschont wurde.
    »Ich glaube es einfach nicht«, murmelte sie vor sich hin. »Das kann nicht Jonah sein.«
    Crispin hauchte seine eiskalten Hände an und steckte die Fäuste dann unter die Achseln. »Doch, doch. Glaub’s nur. Dreimal im Jahr verwandelt er sich: zu Weihnachten, zu Ostern und zu Fronleichnam. Frag mich nur nicht, was er daran findet. Zwölfmal hintereinander muss er das durchstehen und seinen Text aufsagen, und da oben auf dem Wagen zieht’s hundertmal schlimmer als hier unten. Jedes Jahr nach Weihnachten wird er krank, Neujahr verbringt er immer mit Fieber und ohne Stimme. Aber er liebt es. Er liebt es einfach.«
    Annot hatte nur mit halbem Ohr zugehört. »Er ist wunderbar«, flüsterte sie.
    Crispin sah sie von der Seite an und seufzte tief. Er hatte es ja geahnt. Er hatte es kommen sehen. Ganz gleich, was er fortan sagte oder tat, er hatte verloren. Wenn er sich jetzt und hier in Luft auflöste, würde sie es vermutlich nicht einmal bemerken.
    Die Schauspieler auf dem Wagen verneigten sich, und die fahrbare Bühne rollte unter dem stürmischen Jubel der Menge davon. Annot wäre am liebsten hinterhergelaufen, um das freche Hirtenspiel noch einmal anzuschauen, aber die Meisterin hätte ihr nie erlaubt, sich allein in der Stadt herumzutreiben, und außerdem stand sie so eingekeilt zwischen den vielen Leibern, dass sie sich gar nicht hätte befreien können.
    »Was kommt als Nächstes?«, fragte sie.
    »Die Gewürzhändler«, antwortete Rupert. »Sie spielen die Heiligen Drei Könige.«
    »Letztes Jahr hatte der junge Hamo de Kempe sich für seine Rolle Gesicht und Hände so gründlich mit Ruß geschwärzt, dass er an Mariä Lichtmess noch nicht wieder sauber war«, fügte Crispin hinzu.
    Die alte Mistress Hillock klopfte ungeduldig mit ihrem Stock auf den schlammigen Boden. »Das liegt daran, dass Gewürzhändler sich niemals waschen«, behauptete sie missgelaunt. »Rupert, meine alten Knochen werden kalt. Ich will jetzt ins Gildehaus. Wenn wir früh kommen, finden wir vielleicht noch alle einen Platz.«
    Rupert dachte nicht daran, den Aufführungsplatz schon zu verlassen. Acht oder zehn Wagen würden noch kommen, und er wollte keine der Darbietungen versäumen. »Crispin, begleite Mistress Hillock zum Gildehaus und sorge dafür, dass sie alles zu ihrer Bequemlichkeit hat.«
    Crispin sah sehnsüchtig zum Bühnenwagen der Gewürzhändler hinüber, der gerade, von vier wunderbar geschmückten Ochsen gezogen, heranzockelte. Aber er bemühte sich, seine Enttäuschung nicht zu zeigen. »Natürlich, Sir. Madam, es ist mir eine Ehre.« Er machte einen kleinen Diener.
    Die alte Dame lachte wissend. »Ja, das glaube ich aufs Wort, mein Junge. Sei so gut, reich mir deinen Arm.«
    »Darf ich mitgehen, Mistress?«, fragte Annot an Elizabeth gewandt. »Mir ist so kalt.«
    Ihre Meisterin runzelte verblüfft die Stirn. »Aber du konntest es doch kaum erwarten, die Spiele zu sehen.«
    Das stimmte. Doch wenn sie mit Rupert und Elizabeth allein blieb, würde Rupert irgendeine Möglichkeit finden, ihr wieder auf die Pelle zu rücken. Kaum wäre Elizabeth in ein Gespräch mit einer ihrer vielen Freundinnen vertieft, würde seine Hand sich unter ihren Mantel stehlen, ihren Arm streicheln, sie befingern. Und das wollte sie nicht.
    »Mir graut vor dem Spiel der Fleischer, Mistress«, gestand sie, und es war ja nicht einmal eine Lüge. »In der Schlachterei meines Vaters habe ich für mein Leben genug Schweineblut gesehen.«
    »Also, dann geh.« Elizabeth lächelte nachsichtig.
    Crispins Miene hellte sich auf. »Am besten, du hältst dich an meinem Mantel fest. Hier im Gedränge können wir uns sonst verlieren, und du würdest nie mehr nach Hause finden und unter die Räuber fallen. London ist ein gefährlicher Ort, weißt du. Nicht umsonst nennen manche sie die purpurne Stadt. Die Hure Babylon, Mutter aller Abscheulichkeiten der Erde.« Er sagte es nicht ohne einen gewissen prahlerischen Stolz.
    Hastig legte Annot die Hand um eine Falte am Rücken seines Mantels, und die kleine

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