Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
reicher, sehr eleganter Mann. Sein silbriges Haar fiel auf die gepolsterten Schultern seines Surkots aus schwarzem Samt, und das Amulett der Gilde prangte auf seiner Brust. Als ihre Blicke sich trafen, lächelte er und sagte: »Kein schlechter Platz hier oben, nicht wahr. Man sieht sie alle. Nichts entgeht einem.«
Jonah nickte. »Kein schlechter Platz, Sir.«
London, Januar 1331
W ie üblich hatte Jonah nach Weihnachten die Stimme verloren, bekam hohes Fieber und wurde, da er schlecht im Laden sein Krankenlager aufschlagen konnte, wie jedes Jahr in der zweiten Dachkammer einquartiert, die bis auf ein paar verstaubte Tuchballen und sonstige Ladenhüter leer stand. Dieses Mal war er so krank, dass selbst der sparsame Rupert schließlich einwilligte, ihm ein Kohlebecken in die Kammer zu stellen, denn er wollte nicht, dass die Leute sagten, Jonah sei an seinem Geiz gestorben.
Die beiden Mägde versorgten den Kranken mit Suppe und heißem Würzwein, Crispin brachte ihm ein Buch mit Heiligengeschichten, das sein Vater, ein Weinhändler aus Westminster, ihm zu Neujahr geschenkt hatte, und vor allem Annot besuchte ihn häufig und erzählte ihm Neuigkeiten. Anfangs waren ihre Besuche ihm unangenehm. Es machte ihn verlegen, dass sie ihn so fiebrig und schniefend sah, so ungewaschen, ungekämmt und nicht Herr seiner selbst. Doch als es ihm ein wenig besser ging, ertappte er sich dabei, dass er es kaum erwarten konnte, bis sie endlich kam, denn sie vertrieb ihm die grässliche Langeweile mit ihren Geschichten, und manchmal sang sie für ihn. Sie hatte eine hübsche, reine Stimme und kannte Lieder aus der Normandie und aus Frankreich, die er noch nie gehört hatte.
»Sing weiter. Bitte.«
»Jonah!« Annot lachte. »Du kannst ja wieder sprechen.«
Er lächelte zu ihr auf. »Erzähl’s nicht weiter.«
»Abgemacht.«
»Sing noch etwas.«
»Nein, jetzt ist es genug. Ich kann auch nicht mehr lange bleiben. Ein Kauffahrer aus Southampton ist in der Stadt, und die Meisterin will, dass ich hingehe und mir die Seide anschaue, die er mitgebracht hat. Es heißt, er hat sie selbst im fernen Indien geholt. Die ganze Seidenstraße entlang vom anderen Ende der Welt, stell dir das vor.«
Annot klang tief beeindruckt. Aber Jonah hatte Zweifel. Erhatte noch nie gehört, dass englische Kauffahrer in so weite Ferne gereist waren. Karawanen brachten die Seide und Gewürze aus dem Fernen Osten ins Morgenland, wo vornehmlich jüdische Kaufleute sie übernahmen und in die Hansestädte oder zu anderen Handelsplätzen auf dem Kontinent weiterleiteten. Dort kauften die englischen Importeure die Luxusgüter vom Ende der Welt ein und brachten sie nach London. Die vielen Zwischenhändler trieben natürlich die Preise in die Höhe, aber das war immer noch besser, als die gefahrvolle, weite Reise selbst auf sich zu nehmen und unterwegs sein Geld, die Ware oder womöglich das Leben zu verlieren. Außerdem bezahlten die Adligen und reichen Kaufleute in England jeden Preis für Seide und Gewürze, darum war es praktisch gleich, was sie kosteten.
»Warum geht Elizabeth nicht selbst zu diesem angeblich so weit gereisten Mann?«, fragte er missfällig, seine Stimme immer noch bedenklich rau. »Es ist gefährlich, wenn du allein in der Stadt unterwegs bist.«
Sie war selig, dass er sich um sie sorgte, erwiderte aber: »Crispin wird mich begleiten. Die Meisterin hütet das Bett.«
»Ist sie krank?«
Annot schüttelte verlegen den Kopf.
Also schwanger, schloss Jonah. Gott steh uns bei, wenn es wieder schief geht. Und was soll aus mir werden, wenn es dieses Mal gut geht? Seine zwiespältigen Gefühle bei den glücklosen Schwangerschaften seiner Cousine bereiteten ihm immer Unbehagen.
»Und was ist mit meiner Großmutter? Sie besucht mich nicht. Zürnt sie mir?«
»Nein, sie ist krank wie du.«
Er richtete sich auf einen Ellbogen auf. »Krank?«
Annot nickte bedrückt. »Seit kurz vor Neujahr. Sie hustet und hatte hohes Fieber. Aber ich glaube, sie erholt sich langsam.«
»Gott sei Dank«, murmelte er, schloss die Augen und riss sie sogleich wieder auf. »Das halbe Haus liegt darnieder. Ich glaube, es wird Zeit, dass ich diesem Müßiggang hier ein Ende mache.«
»Du bleibst liegen!«, beschied sie streng. »Crispin und Master Hillock kommen auch ohne dich im Laden zurecht, es ist ruhig im Moment. Und niemandem ist damit gedient, wenn du zu früh aufstehst und gleich wieder umfällst.«
Er schob eine Hand unter den Nacken und betrachtete sie
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