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Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)

Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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folgte so dicht hinter ihr, dass die kleinen Härchen in ihrem Nacken sich warnend aufrichteten. Seine Nähe war ihr unerträglich, erfüllte sie mit Schrecken, und am liebsten wäre sie gerannt.
     
    Alles um ihn herum kam Jonah so unwirklich vor wie ein wirrer Traum. Als betrachte er die Welt durch den Boden eines Trinkglases, der alles verzerrt und verschwommen wirken lässt. Er war von Menschen umringt, vornehmlich von den jüngeren Gildebrüdern, die ihm die Schulter klopften und ihn beglückwünschten und einen Mordskerl nannten. Irgendwer drückte ihm einen Silberpokal in die Hand, und er trank. Es war tiefroter Wein. Er leerte ihn in einem Zug. Es machte nichts. Er war so oder so trunken.
    »Nun lasst endlich ab von ihm, ihr Unholde, seht ihr denn nicht, dass er sich kaum noch auf den Beinen halten kann!«, schimpfte Vater Gilbert, der geistliche Beistand der Gilde und klerikale Leiter ihrer Schauspieltruppe. Er zog den völlig willenlosen Jonah aus der Mitte seiner Bewunderer und führte ihn und seine Mitspieler an die hohe Tafel, wo sie heute ausnahmsweise sitzen durften. »Hier, mein Junge. Setz dich.«
    »Es geht mir gut, Vater«, wehrte Jonah ab, seine Stimme schon verdächtig heiser.
    »Ja, ja. Trotzdem. Komm her, Elia Stephens, mach dich nützlich und sorg dafür, dass wir eine Schale heißer Suppe bekommen.«
    »Sofort, Vater Gilbert.« Der junge Kaufmann winkte eine Magd herbei und gab die Suppe in Auftrag.
    Schon wieder drückte jemand Jonah einen Becher in die Hand. Er hob den Kopf, und aus dem Augenwinkel sah er Annot zur Hintertür hereinkommen. Sie wirkte bleich und verstört, und er fragte sich einen Moment, was ihr wohl passiert sein mochte, aber dann landete die nächste Pranke auf seiner Schulter, und irgendjemand rief: »Na los doch, Jonah, trink. Wir werden auf keinen Fall zulassen, dass du heute auf deinen eigenen zwei Füßen nach Hause gehst!«
    »Was sind denn das für Reden, Martin Aldgate?«, rief der verzweifelte Vater Gilbert aus. »Heute ist ein hoher Feiertag, den wir mit Würde und Gottesfurcht begehen wollen. Und unterstehe dich, diesen jungen Mann hier zum Trunk zu verführen!«
    Aber seine Ermahnungen verhallten wirkungslos; die allgemeine Ausgelassenheit war nicht zu bändigen. Doch Vater Gilbert hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen. Jonah trank nichts mehr, bis er die Suppe bekam, und auch beim Festmahl nippte er nur gelegentlich an seinem Becher. Er aß auch nicht viel. Er brauchte nichts und wollte nichts. Dieser Tag hatte jeden Hunger, jeden Durst gestillt.
    Natürlich genoss er es, sich feiern zu lassen. Es war eine angenehme Abwechslung von dem allgemeinen Kopfschütteln und Unverständnis, die er meist erregte. Alle, die ihn sonst einen Finsterling, bestenfalls einen Träumer nannten, wollten ihm heute nahe sein, seine Hand schütteln, ihm sagen, wie wunderbar er gespielt hatte. Es war eine Wohltat. Aber es war nur das Zweitbeste an diesem Tag. Das eigentliche Wunder, das, was er am meisten genoss, war die Verwandlung selbst. In die Haut eines anderen zu schlüpfen, und sei es nur Mak der Dieb,war, als sei auf einmal alles möglich. Es fühlte sich an, als wären ihm Flügel gewachsen.
    Nur allmählich kehrte er auf den Boden zurück. Als alle mit dem viergängigen Mahl beschäftigt waren und ihm ein wenig Ruhe vergönnt war, sah er sich zum ersten Mal richtig um. Die Halle strahlte im Glanz zahlloser Kerzen. Behänge aus wahrhaft edlen Tuchen zierten die Wände und schützten vor der Zugluft, die durch die vielen Ritzen im Fachwerk drang. Die schartigen Schwerter streitbarer Gildebrüder aus vergangenen, kriegerischen Zeiten, die dazwischen hingen, waren mit Mistelzweigen und Immergrün geschmückt. Gut gekleidete Menschen saßen an den langen, von schneeweißen Tüchern bedeckten Tischen und schmausten und lachten. Nahe der hohen Tafel entdeckte er seine Großmutter, die in ein ernstes Gespräch mit einem ehemaligen Alderman vertieft war. In ihrer Nähe saßen Rupert und Elizabeth. Rupert war betrunken, sein großporiges Gesicht gerötet, Bratensoße klebte in seinem Bart, und er flüsterte seiner Frau etwas ins Ohr. Elizabeth schüttelte den Kopf und lachte wider Willen. Weiter unten sah er Crispin und Annot und dazwischen Nachbarn, vertraute Gesichter, ein paar junge Burschen, die mit ihm auf der Klosterschule gewesen waren. Als er den Kopf wieder wandte, stellte er verlegen fest, dass Arthur Knolls, der Gildemeister, ihn beobachtete. Er war ein sehr

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