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Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)

Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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hindern.«
    »Ich bin überzeugt, als Lucas Durham diese wirklich große Dummheit beging und meine Mutter heiratete, habt Ihr Gott auf Knien gedankt.«
    Sie sah ihm in die Augen. »Das ist es doch in Wirklichkeit, nicht wahr? Deswegen wolltest du es tun. Aber ich werde nicht zulassen, dass du aus purer Sentimentalität, aus falsch verstandenem Pflichtgefühl heraus diesem dummen kleinen Luder in die Falle gehst. Ein dummes kleines Luder war im Übrigen auch deine Mutter. Sie hat genauso verzweifelt die Hände gerungen und mit verstörten Unschuldsaugen in die Welt geblickt wie Annot. Sie hatte nur mehr Glück: Ich hatte genug Geld, um ihr ihren Lucas zu kaufen. Dein Vater war nicht gerade das, was man einen Ehrenmann nennt, mein Junge, das solltest du lieber nicht glauben. Aber er war ein kühler Rechner und ein Realist. In der Hinsicht musst du noch viel lernen, scheint mir.«
    Er legte die Hand auf den Türriegel und verneigte sich sparsam. »Damit wäre wohl alles gesagt. Alsdann, Madam Großmutter. Sterbt wohl.«
    »Jonah! Du wirst sofort zurückkommen, hörst du!«, rief sie ihm nach.
    Er hatte so lange immer getan, was sie sagte, so viele Jahre, dass er einen Augenblick mit sich ringen musste, um ihr dieses Mal den Gehorsam zu verweigern. Doch es ging leichter als erwartet. Es machte ihm keine besondere Mühe, den flehenden Unterton, der sich in ihrem barschen Befehl verbarg, zu ignorieren. Er schämte sich auch nicht für seinen ungeheuerlichen Abschiedsgruß. Voller Erstaunen fand er heraus, welche Stärke einem der Zorn verleihen konnte. Das Hämmern in den Schläfen, die wabernde Schwäche in den Knien waren vergessen. Fast leichtfüßig lief er die Treppe hinab.Annot musste viele Stunden warten, bis es hell wurde. Die Nacht war lau, sodass sie nicht fror, aber nie zuvor hatte sie etwas Unheimlicheres erlebt als die Straßen von London bei Dunkelheit. Der Mond war nur eine dünne Sichel und spendete fast kein Licht. Sie konnte die Gassen lediglich erahnen. Überall raschelte es, manchmal glaubte sie, verstohlene Laute wahrzunehmen, dann hörte sie unvermittelt den gequälten Schrei einer Ratte, die in die Fänge einer Katze geraten war. Annot schauderte.
    Sie sah keinen Menschen auf ihrem Weg zur St.-Martins-Kirche. Nachts waren keine Leute unterwegs, jedenfalls keine anständigen Leute. Aber sie spürte, dass sie nicht allein war. Dann und wann vernahm sie huschende Schritte oder glaubte zu spüren, dass eine dunkle Gestalt in der Nähe umherschlich. London war voller Gesindel, und nachts gehörten die Straßen den dunklen Bruderschaften, wurde gemunkelt, strikt geordneten Verbänden von Mördern, Dieben und falschen Bettlern, die sich nach dem Beispiel der Gilden organisiert hatten. In den Hafenvierteln, den dunklen Winkeln an den Kais entlang der Themse, spielten sich bei Dunkelheit unaussprechliche Dinge ab. Und ihr Weg führte Richtung Fluss. Vielleicht wäre es ein Segen, wenn eine schattenhafte Gestalt sich von hinten an sie heranschlich und ihr die Kehle durchschnitt, fuhr es ihr durch den Kopf. Aber sie erkannte sogleich, dass das nicht stimmte. Sie wollte leben. Sie zog ihr dunkles Schultertuch fester um sich, und ohne es zu merken legte sie schützend die Hände um ihren Bauch.
    Die Gemeinde, die sich zur Frühmesse in St. Martin einfand, bestand aus einem halben Dutzend alter Weiber. Annot wartete, bis sie verschwunden waren, betrat dann das kleine Gotteshaus und fragte einen mageren, abgerissenen Ministranten nach Pater Julius.
    Der Junge ruckte das Kinn zu einer niedrigen Tür im hinteren Bereich der Kirche.
    Annot klopfte an und trat in die Sakristei. Der Priester, der ihr die Beichte abgenommen hatte, war ein hagerer, gut aussehenderMann in den Dreißigern mit rötlich blonden Locken und einem jugendlichen, bartlosen Gesicht. Jünger, als sie angenommen hatte. Er stand vor einem niedrigen Schrank und genehmigte sich noch ein Schlückchen Messwein, ehe er Becher und Krug wegschloss.
    Als er die Tür hörte, hob er den Kopf.
    »Ich glaube, ich bin so weit, Vater«, sagte Annot.
     
    Gegen Mittag brachte der Priester sie zu dem Haus, von dem er gesprochen hatte. Es lag in East Cheap, unweit des Tower, und als er vor der Tür hielt, dachte Annot verwundert, wie gepflegt und wohlhabend es aussah. Die hölzernen Läden leuchteten in ihrem frischen, weißen Anstrich, das Dach war dicht mit frischen Schindeln gedeckt.
    Keine Nonne öffnete ihnen auf Vater Julius’ Klopfen, sondern ein freundlicher,

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