Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
überhaupt dazu gekommen ist. Aber ich werde dir etwas verraten, Annot. All das spielt keine Rolle mehr. Jetzt ist es passiert. Und es ist müßig, damit zu hadern oder zu erwarten, dass irgendetwas oder irgendwer dich errettet, weil du doch schuldlos bist. Nur du selbst kannst dir helfen, niemand sonst wird es tun. Aber zu der Einsicht bist du inzwischen wohl selbst gelangt, nicht wahr?«
»Ja.«
»Damit bleiben dir drei Möglichkeiten. Du kannst dich mitsamt deinem Balg in der Themse ersäufen. Ich nehme an, sogarGott hätte dafür Verständnis. Oder du kannst versuchen zu betteln. Es wird keine Woche dauern, bis irgendein Kerl dich aufliest und dich auf die Straße schickt. Geh hinunter zum Hafen und sieh dir die Mädchen an. Sieh dir vor allem die an, die fünf Jahre älter sind als du. Ihre Haare sind grau, sie haben keinen Zahn mehr im Mund, und im Winter wirst du sie nicht wiederfinden, weil sie verhungert oder erfroren sind oder weil irgendwer ihnen die Kehle durchgeschnitten hat. Hörst du mir zu?«
»Ja, Madam.« Annot lauschte ihr sehr aufmerksam und starrte dabei auf die Wandbehänge.
»Deine dritte Möglichkeit besteht darin, bei mir zu bleiben. Du bekommst ein hübsches Zimmer, wohnst in einem komfortablen Haus und kannst in Ruhe dein Kind bekommen. Die beste Hebamme der Stadt steht in meinen Diensten.«
»Und was werde ich Euch schulden, bis das Kind kommt?«
Lady Prescote lächelte anerkennend. »Etwa drei Pfund.«
Annot zog scharf die Luft ein. Das war ein Vermögen.
»Es ist nicht so viel, wie es dir scheint. Dein Kind kommt in ein erstklassiges Kloster. Du wirst es regelmäßig sehen können, wenn du willst, und brauchst es nie wieder zu sehen, wenn du nicht willst, auch das ist allein deine Entscheidung. Und dann wirst du anfangen, deine Schulden bei mir abzuarbeiten. Alles, was du dafür wissen und können musst, wird man dir beibringen. Es ist nichts, wovor du dich fürchten müsstest.« Ihre Stimme klang so ruhig und bedächtig. Als sei es gar nichts Besonderes, ein ganz gewöhnlicher Lebensunterhalt.
Isabel Prescote betrachtete ihre junge Novizin aus dem Augenwinkel. Sie konnte nur ahnen, was in dem Mädchen vorging, denn sie selbst hatte keinerlei Erfahrungen mit einem solchen Schicksal, war ihr Leben lang privilegiert gewesen. Doch sie hatte schon viele solcher Mädchen gesehen. Sie betrieb dieses Geschäft seit beinah zehn Jahren – nicht, weil sie es nötig hatte, sondern weil es einfach ungeheuer reizvoll war, etwas derartig Anstößiges unter der Nase und doch ohne das Wissen ihres angesehenen Gatten zu tun –, und sie war inzwischen in der Lage, die Hoffnungslosen von den Klugen zu unterscheiden.
»Ich sagte eben, du bist hübsch, Annot. Ich wollte dir kein Kompliment machen. Es ist eine Tatsache. Du bist vielleicht nicht so schön wie manch andere hier, aber du hast etwas, dem Männer nicht widerstehen können. Wie du ja wohl leidvoll erfahren musstest. Du könntest es weit bringen bei mir. Du könntest eine sehr wohlhabende Frau werden. Überleg es dir.«
Und Annot überlegte. Sie wusste, es war sinnlos, aber sie kam nicht umhin, an das Leben zu denken, das zum Greifen nahe gewesen war. Wenn Jonah sie geheiratet hätte, wäre tatsächlich alles gut geworden, das wusste sie genau. Sie hätten einen kleinen Tuchhandel eröffnet, irgendwo, irgendwie. Vermutlich hätte er Ruperts Kind niemals lieben können, aber das hätte sich alles gefunden. Sie hätten eigene Kinder haben können. Sie wäre eine gute Frau für Jonah gewesen, dessen war sie sicher. Aber sie wusste, dass dieser Traum unwiederbringlich dahin war. Sie hatte es schon in dem Augenblick gewusst, als Rupert plötzlich hinter ihnen gestanden hatte und Jonah zu Boden ging, der feste Griff seiner warmen Hand ihren Fingern entglitten war. Das war alles Vergangenheit. Und so ungeheuerlich es ihr auch erschien, wusste sie doch, wie glücklich sie sich schätzen konnte, dass sie hier und nicht in einer finsteren Hafenspelunke gelandet war.
Nutze dein Kapital, hatte die alte Mistress Hillock zu ihr gesagt. Das ist es letztlich, was wir alle tun.
»Ich bleibe.«
London, Juni 1331
C rispin dachte manchmal, wenn der Teufel zu seinem Zeitvertreib einen Kaufmannshaushalt ersonnen hätte, dann müsste er ungefähr so sein wie dieser. Besonders fröhlich oder einvernehmlich war es bei den Hillocks auch früher nicht zugegangen, dazu war der Meister zu aufbrausend und knauserig, die Meisterin zu gehässig, die alte
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