Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
fast ein wenig erleichtert hinzu.
Jonah war neugierig geworden. »Wen meint Ihr?«
»William de la Pole.«
Der junge Kaufmann schüttelte den Kopf. »Nie gehört.«
»Er ist ein Wollkaufmann aus Hull in Yorkshire und vermutlich reicher als alle Londoner Kaufleute zusammen. Aber wenn ich bedenke, wie es um sein Seelenheil bestellt ist, möchte ich lieber nicht mit ihm tauschen. Er ist häufig zu Gast bei Hofe, heißt es, und tut sein Möglichstes, um den König zu einem Krieg gegen Schottland zu bewegen. Früher oder später wird er vermutlich Erfolg haben. Glaubt mir, Jonah, William de la Pole ist ein Mann, von dem wir alle noch viel hören werden. Wer weiß, vielleicht mehr, als uns lieb ist.«
London, September 1331
E in so gewaltiges Gewitter tobte über der Stadt, als die Wehen einsetzten, dass Annot nicht umhin kam, sich zu fragen, ob Gott sein Missfallen über dieses in Sünde gezeugte Kind kundtun wolle.
»Herrje, was für ein Wetter«, murmelte Lilian, und auch sie warf beunruhigte Blicke auf die klappernden Fensterläden, an denen der Wind zerrte. »Ein Heulen wie Furienstimmen.«
Annot entspannte sich, als der Schmerz ein wenig nachließ, und sank in die Kissen zurück. »Keine Nacht für Kundschaft.«
Lilian tupfte ihr die Stirn mit einem feuchten Tuch ab. »Nein. Vielleicht besser so. Aber hab keine Angst, die Hebamme kommt bei jedem Wetter. Cupido ist gegangen, um sie zu holen, sie muss jeden Moment hier sein.«
Annot nickte dankbar, aber sie fürchtete sich trotzdem. Seitüber einem Vierteljahr lebte sie in diesem Haus und hatte drei Geburten miterlebt, denn ein Malheur wie das ihre war in diesen Kreisen hier durchaus nicht ungewöhnlich. Zwei der Wöchnerinnen hatten die ganze Nacht geschrien, dass einem das Blut in den Adern stockte. Von der dritten hatte man kaum etwas gehört, und sie war gestorben. An einem sonnigen, schwülen Augustmorgen.
Lilian wrang ihr Tuch aus und setzte sich auf die Bettkante. »Es wird alles gut, Annot, glaub mir. Ich hab das schließlich auch schon hinter mir und weiß, wie du dich fühlst. Aber du bist gesund und jung.«
Das bedeutet gar nichts, dachte Annot, aber sie sagte nichts. Sie wusste, ihre Freundin meinte es nur gut.
Lilian war am ersten Tag, gleich nachdem Annot ihr neues, großzügiges Zimmer bezogen hatte und heulend aufs Bett gesunken war, hereingeschneit und hatte sich ihrer angenommen. Lilian sagte von sich selbst, sie sei eine geborene Hure. Sie liebte dieses Leben. Nach zwei Jahren in diesem Haus hatte sie alles gesehen, alles erlebt, und sie ließ Annot großzügig an ihrem Erfahrungsschatz teilhaben. Lilian brachte ihr Dinge bei, von denen Annot nie zuvor gehört hatte, über Körperhygiene und Schutz vor Krankheiten, über Garderobe, Schminke, Haut- und Haarpflege und vor allem über Männer. Lilian vergötterte Männer, liebte sie grundsätzlich und ausnahmslos, bis einer ihr Anlass gab, ihn nicht zu mögen, aber sie nahm sie nicht die Spur ernst. Warum nicht, hatte Annot wissen wollen. Und Lilian hatte ihr Geschichten erzählt, die sich hinter geschlossenen Bettvorhängen abgespielt hatten, Geschichten, die Annot erst schockierten und schließlich, je mehr sie sich an die Atmosphäre in diesem Haus gewöhnte, erheiterten. Lilian hatte Annot auch ihr tiefstes Mitgefühl bekundet, nicht weil ein bärenstarker, rücksichtsloser, betrunkener Kerl sie vergewaltigt und geschwängert hatte – das war ja weiß Gott nichts Ungewöhnliches –, sondern weil es einen Mann gab, den Annot geliebt und verloren hatte.
»Erzähl mir von deinem Kaufmannslehrling«, forderte sieAnnot auf, als deren Hände sich wieder zu Fäusten ballten und sie leise stöhnte.
Annot lächelte mühsam. »Du weißt doch schon alles«, brachte sie atemlos hervor.
Lilian ergriff eine der eiskalten Hände. »Tief atmen. So ist gut.« Dann kam sie auf ihr Thema zurück. »Früher oder später wird er herkommen. Früher oder später kommen sie alle, weißt du. Vor allem die Jungen. Die Unverheirateten oder auch die jungen Verheirateten, bei denen ein Kind unterwegs ist. Natürlich machen auch die fettbäuchigen Graubärte hier Halt, denen es leichter fällt, unsere gesalzenen Preise zu zahlen. Aber die Jungen kommen auch dann, wenn sie es sich nicht leisten können. Das Blut kocht ihnen in den Adern, sie können einfach nicht anders. Und wenn sie einmal hier waren, kommen sie immer wieder. Du glaubst ja nicht, wie viele Tuchhändler darunter sind.«
»Lieber will ich
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