Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
seiest ein Griesgram«, entgegnete sein Freund lachend.
»Aber ich kann doch mein Haus und Lager nicht völlig unbewacht lassen.«
»Du kannst absperren, oder? Nun komm schon. Was ist denn dabei? Wir trinken ein paar Becher Wein, essen ein gebratenes Hühnchen und ein paar kandierte Früchte und schauen zu, wie die feinen Gentlemen sich zu unserer Belustigung die Köpfe einschlagen – wann gibt es das schon mal? Es ist ein harmloser Spaß, und auch so ein todernster Kerl wie du muss sich mal vergnügen …«
Er redete noch ein bisschen weiter auf Jonah ein, bis der schließlich mürbe wurde und um des lieben Friedens willen nachgab. So war es meistens.
Jonah sperrte das Lager ab und das Haupttor zur Straße, befestigte den schweren Schlüsselring sicher an seinem Gürtel und folgte Elia durch die Gassen der Ropery in nördlicher Richtung nach Cheapside.
Elia Stephens war der Einzige seiner Gildebrüder, dem Jonah sich freundschaftlich verbunden fühlte. Obwohl sechs oder siebenJahre älter, war Elia der Übermütigere von beiden, oft gar leichtsinnig. Daran hatte auch seine besonnene junge Frau nichts ändern können. Die anderen Tuchhändler schüttelten die Köpfe über Elia, weil er das Leben nicht ernst genug nahm und nicht wirklich fleißig war. Sie schüttelten auch nach wie vor die Köpfe über Jonah, freilich aus ganz anderen Gründen, und Jonah hatte sich schon manches Mal gefragt, ob es vielleicht das war, diese generelle Missbilligung, die ihn und Elia zusammengeführt hatte. Es konnte wohl kaum zwei unterschiedlichere Menschen geben, aber trotzdem oder auch gerade deswegen ergänzten sie sich auf vortrefflichste Weise. Martin Greene hatte Jonah mit erhobenem Zeigefinger verboten, Elia Stephens jemals Geld zu leihen oder in eines seiner verrückten geschäftlichen Abenteuer zu folgen. Jonah wusste, es war ein guter Rat – Elias »todsichere Geschäfte«, die immer unglaublich viel Geld in unglaublich kurzer Zeit versprachen, gingen regelmäßig in die Binsen. Bislang war das nicht weiter schlimm, denn Elias Vater hatte seinem risikofreudigen Sohn ein stattliches Vermögen hinterlassen. Aber es würde nicht ewig reichen.
»Da, nun sieh dir das an!«, rief Elia begeistert aus, als sie zur West Cheap kamen, der breitesten Straße innerhalb der Stadtmauern, wo jedoch an gewöhnlichen Tagen so viele Verkaufsstände aufgebaut waren, dass man kaum hindurchkam. Heute war von den Ständen nichts zu sehen. Sie waren fortgeschafft worden, und stattdessen hatte man auf der gegenüberliegenden Seite die bunten Pavillons der Turnierteilnehmer errichtet. Knappen und Diener standen in nervösen, kleinen Gruppen davor zusammen und tuschelten oder sattelten die wundervollen, großen Schlachtrösser. Die Ritter zeigten sich noch nicht. Auf der hiesigen Seite säumten Menschen die sandbedeckte Straße.
»Hab ich zu viel versprochen?«, fragte Elia mit leuchtenden Augen.
Da er ihm eigentlich gar nichts versprochen hatte, antwortete Jonah nicht, verzichtete auch auf die Bemerkung, dass es noch voller und lauter war, als er befürchtet hatte. Männer, Frauen und Kinder aller Stände drängten sich vor den geschlossenenLäden. Eine hüfthohe hölzerne Absperrung hielt die Menge im Zaum und sollte verhindern, dass die Zuschauer bei den Turniergängen unter die Hufe gerieten. Elia zerrte ihn nach links, wo das Gewimmel am dichtesten war.
»Warum dort entlang?«, protestierte Jonah.
»Ich will nach St. Mary le Bow«, erwiderte Elia. »Zur Tribüne.«
Jonah stöhnte, legte die Hand an seine Börse und folgte seinem Freund ins Getümmel. Sie kamen nur langsam vorwärts, und die Handwerkersfrauen aus Cheapside beschimpften die beiden großen jungen Männer lauthals und wortreich, die sich ganz vorn an der Absperrung entlangschlängelten.
»Seht zu, dass ihr weiterkommt! Wie sollen wir etwas sehen, wenn gerade ihr vor uns steht? Dieses Kaufmannspack denkt doch weiß Gott, die ganze Stadt gehöre ihnen …«
Elia lachte über ihr wütendes Gezeter, kaufte einem Bierjungen zwei Krüge ab und reichte Jonah einen davon, ehe er sich weiter vorarbeitete, wie ein Mann, der durch ein brusthohes Gewässer watet.
Jonah trank hastig ab, aber noch während er ansetzte, knuffte ihn jemand, und Bier spritzte auf sein Surkot. »Großartig …«, murmelte er bissig. »Genau, wie ich dachte.«
Er vergaß sein beschmutztes Gewand, als er die Tribüne sah. Natürlich hatte er davon gehört. Aber keine Beschreibung wurde ihr gerecht.
Die
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