Der König ist tot: Roman (Fortune de France) (German Edition)
großen Ball veranstaltete, warfen weibliche und männliche Gäste auf Verabredung ihre Kleider ab und tanzten splitternackt.
Eine hohe Dame, deren Namen ich verschweige, brüstete sich damit, ihre Liebsten zu wechseln wie ihre Röcke. Die trug sie zwei Tage und verbrannte sie dann. Gott sei Dank, war das nur eine Metapher. Verbrannt wurde niemand.
Die Männerliebe, die von jeher, außer in der königlichen Familie und bei den Großen, verfolgt und verdammt worden war, stellte sich jetzt öffentlich zur Schau. Auf den Straßen sah manmännliche Paare sich aneinander schmiegen und, wie mein Vater sagte, »sich den Rotz lecken«. Eine hohe Dame vergaffte sich in ihre schmucke Kammerfrau, die aus Furcht, entlassen zu werden, alles mitmachte. Doch trotzdem rettete sie das nicht, denn die Dame bereute nachträglich, beichtete, und weil ihr Beichtvater ihr prophezeite, sie werde in der Hölle schmoren, wollte sie sich Luft schaffen. Sie peitschte ihre Liebhaberin aus und warf sie ohne einen Sous auf die Straße.
Entführungen und Vergewaltigungen mehrten sich. Maskierte, die jedoch nach den gemalten Wappen am Schlag ihrer Karossen dem hohen Adel angehörten, griffen sich am hellichten Tag in den Pariser Straßen hübsche Mädchen, die zur Arbeit gingen. Sie vergewaltigten sie einer nach dem anderen und ließen sie nach ihrer Gewalttat in einem Wald liegen oder warfen sie in die Seine.
Aller Respekt war verloren und alle Scham vergessen. Man schimpfte auf die Königin, den König, auf Gott sogar, und zwar in so schmutzigen und vulgären Worten, daß ich sie nicht wiederholen mag.
Vermerken will ich hier, daß das »Fluchen« für den Edelmann eine Bekundung der Männlichkeit und der sozialen Überlegenheit war. Weshalb die Frauen nicht fluchen sollten, auch das Gesinde nicht. Eine stillschweigende Duldung wurde nur den Kutschern von Karossen und Droschken und den Fischweibern der Hallen ihrer Gewerbe wegen gewährt, die sie häufig in den Fall brachten, sich aufzuregen.
Da in den Geistern Gottlosigkeit vorherrschte, ließ man sie auch bald an den Pfarrern aus, beschimpfte, molestierte, bedrohte sie, entriß ihnen mitten in der Messe das Ziborium und zertrampelte die Hostien, die, wie man lauthals erklärte, doch nur »ein bißchen Brot« seien.
Die Pamphletisten gingen noch weiter, sie geiferten gegen die Königin, zogen sie durch den Kot, unterstellten ihr sämtliche Schandtaten, und im besonderen, daß sie den kleinen König dem angeblich schwulen Mazarin überantwortet habe. Einer dieser schändlichen Verleumder, Morlot, wurde festgenommen und zum Tode verurteilt. Doch als man ihn nach der Place de Grève zur Hinrichtung führte, wurde er von einem Dutzend Strolche befreit, denen die begleitende Wachmannschaft wenig Widerstand entgegensetzte.
Nachdem Paris dann zum Gehorsam zurückgekehrt war, rächten sich die Aufrührer dafür, indem sie sich wieder ihren alten Dämonen, nämlich Gottlosigkeit, Laster, Verleumdung und Verfolgung der Juden, überließen.
Unsere Könige hatten die Juden seit alters beschützt, und die enttäuschten sie dafür auch nicht, indem sie ihnen mäßig verzinste Anleihen samt fernen Verfallsterminen einräumten. Ein Mann namens Bourgeois, mit nicht eben viel Grips gesegnet, ließ es sich nun angelegen sein, tagtäglich die jüdischen Trödler auf der Rue de la Tonnellerie zu beschimpfen, die doch den Pariser Armen so große Dienste erwiesen. Die Juden wehrten sich mit Gewalt. Sie überrumpelten Bourgeois und brachten ihn, wie man mir sagte, weder schnell noch sanft zu Tode.
Doch während Paris ganz allmählich wieder zur Ruhe kam, gärte es nun in den Provinzen, und die Königin hielt es für notwendig, überallhin zu reisen und persönlich die Ordnung herzustellen. Es war ein mutiger Entschluß, diese sehr langen Reisen in einem frostig kalten Februar auf sich zu nehmen, doch bevor ich meinen Vers dazu sage, erlaube mir der Leser, ihm von gewissen Damen dieses Reiches zu erzählen.
Der Leser entsinnt sich vermutlich, daß unter der Herrschaft Ludwigs XIII. einige hohe Damen mit Zähnen und Klauen gegen Richelieus Politik gekämpft hatten, weshalb ich sie als den »Clan der diabolischen Reifröcke« bezeichnete. Da man in Frankreich den Damen nicht den Kopf abschlägt, waren sie nicht anders als mit Verbannung bestraft worden, aus der sie nach Richelieus Tod, noch genauso gierig auf Verschwörungen und galante Abenteuer, zurückkehrten. Es versteht sich, daß man in diesem neuen Clan
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