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Der König ist tot: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Der König ist tot: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: Der König ist tot: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Und Anna scheut sich auch nicht, gegen das Protokoll zu verstoßen, indem sie ihre Mahlzeiten mit ihren Söhnen gemeinsam einnimmt.«
    Mit der größten Sorgfalt hat sie ihnen in der Frage des Fleischlichen duldsame Beichtiger ausgewählt, sicherlich weil sie begriffen hat, daß die geistlichen Erzieher Ludwigs XIII. für dessen Schwierigkeiten verantwortlich waren, »seine Ehe zu vollziehen«, wie der Apostolische Nuntius es seinerzeit ausgedrückt hatte. Ludwig XIV. war schon mit zehn Jahren heiß in Madame de Hautefort verliebt (die einen Kopf größer war als er), nannte sie »mein Weibchen« und kletterte, wenn sie krank war, in ihr Bett. Und er wäre weitergegangen, wenn die Schöne eingewilligt hätte, die jedoch, ganz zu Unrecht, den Zorn derKönigin fürchtete und ihn auf Distanz hielt. Aber aufgeschoben war nicht aufgehoben, und es war unübersehbar, daß Ludwig darin weit mehr nach seinem Großvater denn nach seinem Vater geraten würde.
    Um den König zu unterrichten, gab Anna ihm vorzügliche Lehrer, und in aller Bescheidenheit darf ich sagen, daß ich derjenige war, der den jungen König Spanisch und Deutsch, die Sprachen unserer Feinde, lehrte. Auch seine politische Erziehung wurde nicht vernachlässigt, die Königin empfing in seiner Gegenwart die ausländischen Gesandten, damit er unterscheiden lerne, welche der fremden Länder unsere Freunde und welche es weniger waren. Und weil er ja eines Tages, wie sein Vater und Großvater, ein Soldatenkönig werden sollte, fand keine Parade statt, zu der sie ihn nicht mitnahm. Schon im zartesten Alter bekam er von der Königin eine Kompanie Ehrenkinder zum Geschenk, damit er sich in der Handhabung von Degen und Muskete übe. Natürlich fanden unsere Klatschmäuler am Hof darin Stoff bis ins Endlose. Und so sprach sich auch herum, daß der König dem kleinen Brienne, dessen Sprünge er bestaunte, seine Armbrust geliehen hatte. »Wie schade, mein Sohn«, sagte die Königin, »daß Ihr Eure Armbrust verloren habt.« – »Ich habe sie nicht verloren«, versetzte Ludwig, »ich habe sie Brienne geborgt.« Worauf die Königin würdevoll antwortete: »Monsieur, Könige verborgen nicht, sie schenken.«
    Über die Prinzenerziehung sagte mir Fogacer eines Tages: »Wenn der Prinz Geist hat, gehen seine angeborenen Fähigkeiten nicht verloren. Sie werden, ganz im Gegenteil, gesteigert. Wenn er dumm ist, gewinnt er dabei nichts.« Bei Ludwig XIV. war es das ganze Gegenteil. Noch bevor er lesen lernte, wußte er, wer er war, und machte daraus keinen Hehl. Während der Fronde stellte er einmal seinen Onkel, Gaston von Orléans, den jüngeren Bruder Ludwigs XIII. und unverbesserlichen Intriganten, zur Rede.
    »Mein Onkel, Ihr schuldet mir eine Erklärung, ob Ihr zu meiner Partei gehört oder zu der des Herrn Prinzen«, sagte er.
    »Natürlich gehöre ich zu Eurer Partei«, entgegnete Gaston etwas betreten.
    »Dann gebt Anlaß«, sagte Ludwig in schneidendem Ton, »daß ich daran nicht zweifeln muß.«
    Zu der Zeit war er knapp dreizehn Jahre alt, doch sprach er schon als Herr. Das mußte selbst Anna von Österreich erfahren, als sie ihm untersagen wollte, mit Madame de Frontenac auszureiten, die sie ein bißchen zu verführerisch fand. Ludwig antwortete in gebieterischem Ton: »Madame, wenn ich erst der Herr bin, gehe ich, wohin ich will, und das wird bald sein.« Anna von Österreich brach in Tränen aus. Ludwig nahm sie in die Arme, küßte sie, weinte mit ihr, nahm aber seine Worte nicht zurück, noch verzichtete er auf den Ausritt.
    Anna von Österreich hatte beide Brüder, unter der diskreten Aufsicht Beringhens, in einem Zimmer einquartiert, und auch im selben Bett, in der Hoffnung, daß ihre Freundschaft sich durch den täglichen Kontakt festigen werde. Leider passierte das genaue Gegenteil. Zuerst gerieten sie in Grenzstreitigkeiten, in deren Verlauf beide Seiten die übelsten Beschimpfungen ausstießen. Beringhen, der im selben Zimmer schlief, schaltete sich ein und trennte die Streithähne. Doch es kam schlimmer. Eines Nachts spuckte Philippe (damals war es üble Gewohnheit, einfach irgendwohin zu spucken), und der Auswurf landete auf der Wange des Königs. Er erwachte, fühlte, was geschehen war, und in seinem maßlosen Zorn (verzeihen Sie, schöne Leserin, die nun folgenden Details, für deren Wahrhaftigkeit ich mich verbürge), in seinem maßlosen Zorn, sage ich, pißte Ludwig auf seinen Bruder, der sofort zurückpißte. Worauf beide wohl mit Fäusten

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