Der König muß sterben
Hermeline lagen, ihre Langschuhe aus schwarzem Wildleder wurden nur sichtbar, wenn je zwei neben ihnen herschreitende Ministranten ihre Kleider rafften. Sie kamen in kleinen Gruppen herunter, je zwei Kirchenmänner nebeneinander, Kardinäle, Bischöfe, Prälaten und der Prior des Klosters.
Henri hielt es nicht mehr auf seinem Stuhl aus. Er stand erregt auf. Jetzt musste sich alles wenden.
Die Bewegung, die nun ins Rollen kam, konnte sein Leben entscheiden. Vielleicht wendete sich alles zum Guten und der Plan gelang, vielleicht walzte das, was gleich ausgelöst werden würde, auch über ihn hinweg und zermalmte ihn.
Auch Gottfried war aufgestanden. Er verneigte sich tief. Es sah aus wie Ehrerbietung, nur Henri wusste, dass der Tempelritter ebenso aufgewühlt war wie er selbst.
Henri zog sich an die Saalwand zurück, hinter sich spürte er die Kühle des Marmors. Er starrte zur Treppe hinüber.
Jetzt erschien dort die letzte Gestalt der feierlichen Prozession. Es musste Clemens sein. Der Papst, dessen Lieblinge einmal die Templer gewesen waren, seine für ihn zur Verfügung stehende Miliz. An seinen Händen klebte jetzt so viel Blut! Henri konnte ihn noch nicht erkennen, denn er blieb, da die Prozession unten ins Stocken geraten war, oben auf den Stufen stehen, eine Brüstung verdeckte sein Gesicht. Oh ja, Henri kannte dieses Gesicht gut. Es war feist, aufgeschwemmt von den vielen irdischen Genüssen, die dunklen Augen schwammen in feuchten Höhlen. Die Lippen voll, am Kinn das tiefe Grübchen, seitlich des abrasierten Schädels die lang heruntergezogenen Ohrläppchen.
Bertrand de Got, seines Zeichens der fünfte Papst Clemens.
Der Verräter.
Der Todgeweihte.
Jetzt setzte sich die Prozession wieder in Bewegung. Unten im Festsaal hatten sich die Mönche längst von der Tafel erhoben und waren demütig auf die Knie gefallen. Aber seltsam, jetzt hoben alle die Köpfe. Etwas erstaunte sie.
Und auch Henri spürte das Unbehagen.
Jetzt begriff er, woran es lag.
Und er erstarrte.
ZWEITER TEIL
4
Mitte April 1314, um Palmsonntag
Guillaume Imbert wurde nur »de Paris« genannt. Als er darauf bestand, mit seinen Dominikanern in Avignon den Sonntag vor dem Osterfest und den Taufen mit einer Messe zu feiern, verstand das in der Kirchengemeinde niemand. Aber das war dem Großinquisitor und Beichtvater des Königs einerlei, denn er hatte mit seiner unangemeldeten Visite der Stadt Avignon nicht wirklich die Feier des Einzugs Jesu in Jerusalem im Sinn. Er hatte im Sinn, hier die letzten Templer, die noch auf seiner geheimen Todesliste standen, zu finden. Er wusste zwar, dass diese nur in Rom gerichtet werden konnten. Aber wenn er sie der Ketzerei überführte, durfte er sie überall auslöschen.
Zu nichts anderem benutzte er seine überraschende Anwesenheit im Palast. Und nun die Messe im Dom von Avignon.
Ahnte Imbert, dass er dem am meisten gesuchten Soldaten Christi so nahe war? Als er am Ende der hohen Gäste feierlich die Treppe zum Festbankett im Dominikanerpalast heruntergeschritten war, genoss er die Aufmerksamkeit wie eine schöne Frau. Ja, auch er war schön. Und er stand gern im Mittelpunkt. Obwohl er wusste, dass aller Augen nur deshalb auf ihn gerichtet gewesen waren, weil sie an seiner Stelle den Papst erwarteten.
Aber Clemens war einmal mehr leidend und wollte niemanden sehen. Imbert sagte das den anwesenden, enttäuscht wirkenden Gästen. Sie hätten es wissen müssen, denn der Papst ließ aus Unpässlichkeit selbst die königlichen Gesandten oft wochenlang warten, bis er sie empfing, sein körperliches Wohlbefinden stand über seinen Pflichten. Die Phasen des päpstlichen Unwohlseins nahmen immer mehr zu. Nach seiner Krönung waren es rheumatische Beschwerden gewesen, die ihn quälten. Inzwischen schien ihn etwas im Inneren zu zerfressen wie ein Krebs, der sich durch seine Gedärme wühlte. Und die Ärzte waren mit ihrer Kunst am Ende.
So war es also Gottes Wille, dass sein Stellvertreter auf Erden Schmerzen litt. Vielleicht für seine Sünden, vielleicht weil er viel zu lange gezögert hatte, die verfluchten Templer zu verfolgen.
Auch der Großinquisitor hatte ihn nicht trösten können, aber er nahm ihm die Pflicht ab, zum Festessen hinunterzugehen. Das war nicht ganz uneigennützig geschehen, denn er brauchte neben sich keinen gleich starken Mann. Insgeheim hasste er Clemens sogar, der ihn einmal entmachtet hatte, sich dann aber gezwungen sah, ihn wieder mit allen
Weitere Kostenlose Bücher