Der König und die Totenleserin3
Himmel gewandt. Und dann: »Von mir aus kann er vom Engel Gabriel eingesetzt werden. Ausschlaggebend sind die Geschworenen hier. Falls sie ihrer Sache sicher sind …«
»Sind wir, Mylord. Eustace hat’s nich getan.«
»Na dann.« Aber der Richter suchte noch immer nach einer Schwachstelle. »Dennoch, verehrte Geschworene, könnt Ihr Euch für den guten Charakter dieser Zehnschaft verbürgen?«
Eine schreckliche Pause entstand. Tokis Hand fuhr unter seine Tunika, und er fing an, sich zu kratzen wie ein Hund, den Fliegen
in den Wahnsinn treiben.
»Wir wissen nich genau, wie sie gelebt haben, seit ihre Häuser niedergebrannt sind«, sagte der Obmann vorsichtig, »aber keiner weiß irgendwas, was gegen sie spricht, also nix Genaues. Und Will aus Glastonbury, der da vorne, is ein richtig guter Bäcker.«
Die Richter seufzte. »Dann sind sie frei.« Sein Schreiber reichte ihm eine Pergamentrolle, und er kritzelte eine Unterschrift darauf. »Wir danken dem Bischof von St. Albans für sein Erscheinen. Ruft den nächsten Fall auf!«
Der nächste Fall, ein Mann, der Fußfesseln trug, wurde vom Gerichtsdiener aus der Umzäunung gezerrt und zum Richter geschleppt. Eine neue Gruppe von Geschworenen schlurfte in den Schatten des Baumes.
Die Zehnschaft blieb einen verwirrten Moment wie angewurzelt stehen, ehe Will vortrat und dem Richter eine verdreckte Hand hinstreckte. »Sehr verbunden, Mylord.«
Der Gerichtsdiener stieß ihn weg. Alf rannte hinter dem Obmann der Geschworenen her, die im Gehen begriffen waren, und versuchte, ihn zu küssen.
Will lupfte seine Kappe vor dem Bischof, brabbelte irgendwas in Mansurs und Adelias Richtung und latschte davon.
»Das ist aller Dank, den du bekommst«, sagte Rowley. Es war das erste Mal, dass er Adelia an diesem Tag ansprach. Er hatte sie kaum eines Blickes gewürdigt.
Gerührt sah sie die Zehnschaft in der Menge verschwinden. »Es gibt Geschworene«, sagte sie. »König Henry, für diese Männer, für alle, die vor Gericht stehen, danke ich dir.«
»Der größte Gesetzgeber seit Salomon«, sagte Rowley, und dann zwinkerte er. »Wohlgemerkt, es ist auch sehr einträglich. Aber all die Geldstrafen und beschlagnahmten Güter sind in Henrys Taschen immer noch besser aufgehoben als bei irgendwem sonst.«
Ein Schreiber versuchte, den Bischof auf sich aufmerksam zu machen. »Mylord, Ihr seid als Richter für die Verhandlung gegen den Lord von Newcastle vorgesehen. Wenn Ihr mir bitte folgen würdet …«
Mit einem Winken war Rowley verschwunden.
Und so wird es fortan sein, dachte Adelia, keine Anerkennung in der Öffentlichkeit, kurze Augenblicke, nichts von Dauer. Trotzdem, Allie und ich entscheiden uns frohen Herzens dafür.
Hauptmann Bolt stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf. »Der König, Mistress …«
Adelia nahm Mansur den langen Korb ab. Im Geist entschuldigte sie sich bei den Knochen oben auf dem Hügel: Ihr müsst wissen, dass Henry letztlich Euer Erbe ist. Seht nur, wie viel Gerechtigkeit er auf Eure Insel gebracht hat!
Im Palast führte der Haushofmeister den Hauptmann, Adelia, Mansur und Millie über eine prächtige Treppe auf eine lange, von zahllosen Fenstern erhellte Galerie, in der eine ebenso lange Schlange von Menschen wartete. Man hatte ihnen Bänke hingestellt.
»Bittsteller«, sagte Hauptmann Bolt abfällig. »Wie lange müssen wir warten? Der König möchte diese Lady dringend sehen.«
»Der Lord König berät sich mit dem päpstlichen Gesandten, Mistress«, sagte der Haushofmeister. »Sobald er fertig ist … Herrgott, willst du wohl dafür sorgen, dass dieses verdammte Schwein nicht auf den Boden scheißt!«
Es war ein hübscher Boden, mit Keramikwappen gefliest. Es war ein hübsches Schwein, wenn auch mit einer unberechenbaren Verdauung. Die beleibte Bäuerin, die es an der Leine führte, nickte freundlich, hob es sich auf den Schoß und wischte ihm den Hintern mit ihrem Ärmel ab.
»Was hat die überhaupt hier zu suchen?«, wollte der Haushofmeister von einem königlichen Schreiber wissen, der in der Tür des Empfangsraums stand, eine Pergamentrolle in der Hand und ein tragbares Schreibpult um den Hals gehängt. Adelia hatte ihn schon mal gesehen und versuchte, sich an seinen Namen zu erinnern.
»
Alle
Bittsteller, hat der König angeordnet«, entgegnete der Schreiber. »Sie ist eine Bittstellerin. Vielleicht ja auch das Schwein.«
»Dann werde ich jetzt Bittsteller für einen verdammten Eimer und Lappen«, sagte der Haushofmeister
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