Der König und die Totenleserin3
verbittert.
Die meisten der bunt zusammengewürfelten Menschen in der Galerie waren aufgeregt und übten lautlos, was sie dem König sagen wollten. Nur die Bäuerin schien völlig entspannt und legte eine Kaltblütigkeit an den Tag, die einer Adeligen zur Ehre gereicht hätte.
Adelia und Millie setzten sich neben sie. Aus den geöffneten Fenstern des Empfangszimmers, in dem der König mit dem Gesandten sprach, drangen Gesprächsfetzen durch die sonnige Luft und die offenen Fenster der Galerie, wenngleich nur Henrys Stimme deutlich zu vernehmen war. Schon in guten Zeiten war sie durchdringend – und im Augenblick waren die Zeiten offensichtlich nicht gut.
»Kommt nicht in Frage, Monseigneur. Ich werde ihnen nicht die Zunge rausreißen und ihnen auch nicht die Eier oder irgendeinen anderen Teil der Anatomie abschneiden lassen. Und ich lasse sie erst recht nicht hinrichten.«
Die Antwort des Gesandten war leiser und beherrschter. Adelia verstand nur das Wort »Ketzer«. Dann: »Ketzer? Weil sie den Ablasshandel ablehnen? Mir gefällt der auch nicht. Ich habe gelernt, dass Sünden in der Hölle bezahlt werden und nicht mit einer Handvoll Barem an den nächstbesten Priester. Macht mich das auch zum Ketzer?«
Erneutes Gemurmel.
Adelia sah dem Schreiber an der Tür an, dass er unruhig wurde – Robert, so hieß er, Master Robert.
»Dann macht ihr es doch!« Wieder die Stimme des Königs. »Soll die Kirche sie doch bestrafen – ach, ich vergaß, das dürft ihr ja nicht, richtig? Die Kirche darf kein Blut vergießen, aber sie sieht frohen Herzens zu, wenn Ketzer von einem weltlichen Gericht bei lebendigem Leibe gehäutet werden. Nur nicht eure Schreiberlinge, oh nein, das würden sie niemals tun. Ich hab einen Fall in Nottingham, wo sich ein Priester an einem Sechsjährigen vergangen hat. Stellt den Angeklagten vor Euer Kirchengericht, hab ich dem Bischof gesagt, und wenn Ihr ihn schuldig sprecht, was Ihr tun werdet, übergebt ihn an mein Gericht – wir sorgen dann dafür, dass er sich nie mehr an irgendwem vergreift. Aber oh nein, der Mann ist Priester; Priester darf ich nicht anrühren, das ist reine Kirchenangelegenheit – und so läuft der Hundsfott frei rum, um es bei der nächsten Gelegenheit wieder zu tun.«
Fang nicht von Becket an!, dachte Adelia und verzog das Gesicht. Gib ihnen keinen Trumpf in die Hand!
Dass er den Streit mit dem König gewonnen hatte, mochte Erzbischof Becket das Leben gekostet haben, aber es hatte ihm die Heiligsprechung eingebracht
und
dem Klerus die fortgesetzte Unantastbarkeit durch weltliche Gerichtsbarkeit.
Die Tür des Empfangsraums öffnete sich. Ein dicker, wütender Mann im Gewand und mit dem scharlachroten Hut eines Kardinals kam heraus. Adelia nahm einen Hauch Parfüm- und Schweißgeruch wahr, als er schwerfällig vorbeistapfte. Der Plantagenet stand in der Tür und sah ihm hasserfüllt nach.
»Ähm«, sagte Master Robert kläglich.
»Was?«, herrschte sein König ihn an.
»Nun, wir bewegen uns hier auf recht dünnem Eis, Mylord. Der Monseigneur ist immerhin Repräsentant des Papstes. Und der Papst …«
»Kann das Interdikt über England verhängen, falls ich seine Ketzer nicht bestrafe. Danke, Robert, ich weiß. Wie viele von diesen verdammten Häretikern sind es denn?«
»Drei, Mylord.«
Henry seufzte. »Also schön. Sag dem Scharfrichter, er soll ihnen ein H in die Stirn brennen und sie dann laufen lassen. Mal sehen, ob das Seine Heiligkeit zufriedenstellt. Aber das Eisen soll nicht zu tief eindringen!«
»Jawohl, Mylord.« Master Robert machte sich eine Notiz. »Ich fürchte, Ihr werdet der Brandmarkung beiwohnen müssen. Dann kann der Kardinal dem Papst immerhin melden, dass Ihr die Strafe durch Eure Anwesenheit gebilligt habt.«
Der König spuckte aus. »Der kann froh sein, wenn er nicht berichten muss, dass ich ihm das Eisen in den Arsch geschoben habe … Ach, also gut, sag Bescheid, wenn der Scharfrichter bereit ist. Nun denn, wer ist als Nächstes dran?« Sein Blick fiel auf das Schwein. »Was macht
das
hier?«
»Ich glaube, Mistress Hackthorn hat eine Bitte, Mylord.«
»Nee, hab ich nich.« Die Bäuerin wuchtete ihre Körperfülle von der Bank, das Schwein noch immer im Arm. »Ich bin hier, weil ich mich bedanken will, jawohl. Das Mastschweinchen hier is ein Geschenk für Euch, König Henry, Ihr Grundguter.«
»Tatsächlich?« Henry ging interessiert auf sie zu. »Wofür denn?«
»Von meinen lieben Triffin, Mylord. Lord Kegworth, der Gurney
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