Der König und die Totenleserin3
hat. Oder er war ein feiner Herr und hat irgendwas Schlimmes gemacht und wurde für vogelfrei erklärt. Jedenfalls hat er sich vor drei, vier Jahren mit Wolf zusammengetan. Und Scarry war wie ein Fisch, der endlich ins Wasser kommt. Er hat’s geliebt, hat das Töten geliebt. Weiß gar nich, wer von den beiden schlimmer war, er oder Wolf.«
»Er hat aus Liebe zu Wolf geweint.« Dieser fürchterliche Schrei:
Te amo! Te amo!
»Äh, na ja.« Will trat verlegen von einem Bein aufs andere. »Die beiden waren da irgendwie komisch. Was?« Alf zog ihn am Ellbogen und krächzte.
»Er will, dass du ihr auch den Rest erzählst, Will«, erklärte Toki.
Will fauchte: »Du dämlicher Hund, Alf, willst du, dass ich meine beste Kundin verlier?«
Ein unverständliches Geflüster von Alf ließ vermuten, dass er das wollte.
Wieder übersetzte Toki. »Alf sagt, du bist ein guter Bäcker und hast es gar nich nötig, für die alte Hexe zu arbeiten.« Er stockte. »Vielleicht sind wir das der Missus schuldig, Will. Sie sollte es wissen.«
»Welche alte Hexe?«, fragte Adelia.
»Also gut, also gut.« Will setzte sich neben sie, rupfte einen Grashalm aus und kaute wie wild darauf rum. »Das war nämlich so. Wolf hat gewusst, dass Eure Lady über diese Straße kommen würde. Er hat ihr aufgelauert.«
»Wie konnte er das wissen?« Gott, ihr wurde heiß, die Luft fühlte sich immer schwerer an und raubte ihr fast den Atem.
Will lutschte an seinem Grashalm. »Na ja, die großen Herrenhäuser hier in der Gegend, die hatten früher schwer unter Wolf zu leiden. Der hat ihre Rinder und Schafe abgeschlachtet, ihre Scheunen geplündert, vor dem war nix sicher. Und der Schwächling von Sheriff hat nie richtig was unternommen, um ihn zu schnappen, und Glastonbury und Wells auch nich.«
»Und?«
»Also haben die Lords und Ladys, die unter Wolf zu leiden hatten, sich geeinigt – mit Wolf. Die haben ihn bezahlt, damit er sie in Ruhe lässt, klar?«
Danegeld, Schutzgeld. Die Adeligen hatten Wolf bezahlt, damit sie in Frieden und Sicherheit leben konnten. In diesem Moment kam Adelia diese schmachvolle Geschichte unwichtig vor, doch Alf, in dem die Wahrheit sprudelte wie klares Wasser aus einem Brunnen, hielt es für notwendig, dass sie erfuhr. »Verstehe«, sagte sie.
»Und an jenem Abend, dem Abend, an dem Eure Freundin in Wolvercote abgewiesen wurde …« Will stockte.
Die Luft wurde schwerer, erstickend.
»Da hat Wolf von dort die Nachricht erhalten, dass eine reiche Lady mit Begleitung von Wolvercote kommen würde. Hübsche Beute für ihn, wurde ihm gesagt. Und dass sie über seine Straße kommen würden.«
»Eine Nachricht?«, fragte Adelia benommen. Alf nickte. Und dann ging ihr ein Licht auf. »Sie hat sie verkauft? Sie hat sie verkauft?«
»Davon weiß ich nix«, sagte Will und stand auf. »Ich erzähl bloß, was passiert ist.«
Sie hatte sie verkauft. Die Herrin von Wolvercote Manor hatte Emma und das Kind gesehen und sie nur als Bedrohung ihrer Stellung wahrgenommen. Sie hatte ihnen den Tod gewünscht. Und die Wölfe auf sie gehetzt.
»Wegen Eustace müsst Ihr Euch keine Sorgen machen«, sagte Will, der zu ihr herunterschaute. »Er liegt in der Kirche in Street, und wenn wir wegen dem Brand aus dem Schneider sind, dann beerdigen wir den armen Kerl, mit seinen Fingern, die noch immer an der verdammten Abteimauer liegen.«
Aber Adelia machte sich wegen Eustace keine Sorgen. Der Verrat an Emma hatte alles andere aus ihrem Kopf verdrängt. Und die Leichen in ihrem flachen Grab in einem gesetzlosen Wald, zweimal getötet – einmal von einer Frau, die sie in mörderischer Absicht an ihrer Tür abgewiesen hatte, und einmal von einer Bestie. Und wessen Schuld war größer? Die der Bestie oder die der Lady in ihrem behaglichen Herrenhaus?
Adelias Mund bewegte sich. »Sie hat sie verkauft.«
Emma, Roetger und Pippy. Die Seelen der Opfer der verwitweten Lady Wolvercote schrien nach ihr. Wo waren sie?
Sie blickte über das blaugrüne Muster der Sümpfe, um einen klaren Kopf zu bekommen – den kühlen Kopf einer Anatomin, der keine Ungereimtheiten vertrug, ganz gleich, welch unentwirrbaren Wust an Grausamkeiten er verarbeiten musste.
Sie sind bestimmt tot, dachte sie. Sie hatten sich im Kampf mit Wolf Verletzungen zugezogen und waren daran gestorben. Aber
Herr im Himmel, verschwanden in diesem gottverlassenen Land denn alle Toten einfach so vom Erdboden? Gab es irgendwo ein Loch,
das Menschen spurlos in sich
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