Der König und die Totenleserin3
schimmernd auf die Treppe zueilte, die Arme weit ausgebreitet wie eine Vogelscheuche.
»Ich wollte dich auffangen«, sagte Rowley. »Ich dachte, du fällst die Treppe runter.«
»Wär ich auch fast«, entgegnete Adelia. Sie saß noch immer auf einer Stufe, weil sie vor lauter weichen Knien von dem Schreck nicht stehen konnte. »Ist Allie gut angekommen?«
»Und Gyltha. Und Mansur. Alle offenbar in dem Glauben, dass du sie erwartest. Ich hab ihnen gesagt, sie sollten bleiben, und ich würde mich hier um alles kümmern. Vielleicht hättest du die Güte, mir zu erzählen, worum ich mich eigentlich kümmern soll.«
Sie mussten beide schreien, um sich bei dem lärmenden Gewitter verständigen zu können. Vor der noch immer offenen Tür klatschte der Regen auf die Steine im Hof, als würde ein Riese am Himmel gigantische Eimer Wasser auskippen.
Rowley holte eine Flasche hervor und reichte sie Adelia, ehe er seinen ledernen Kapuzenumhang abnahm, ihn nach draußen hin ausschüttelte und dann die Tür schloss.
»Verriegle sie!«, sagte Adelia.
Er hob eine Augenbraue, tat aber wie geheißen.
Sie nahm einen kräftigen Schluck Branntwein, von dem sie husten musste. Aber danach fühlte sie sich besser. Jetzt, wo Rowley da war, würde sie mit allem fertig werden.
Er nahm eine Laterne, und sie gingen in den Gästesaal, wo sich beide vorsichtshalber dafür entschieden, einander gegenüber am Tisch Platz zu nehmen. Er wurde huldvoll: »Nun, mein Kind?«
Nenn mich nicht so!, dachte sie. Aber sie war zu froh über sein Kommen, um den alten Streit wiederaufleben zu lassen. Sie erzählte ihm von ihrem Ausflug in den Wald, wer dort begraben lag, was dort geschehen war. »Verstehst du … Ach Rowley, ich habe einen Menschen getötet.«
»Gut.«
Sie schüttelte unglücklich den Kopf. »Bewundere mich nicht auch noch dafür!«
»Warum nicht? Was hättest du denn sonst tun sollen? Der wollte diesen Alf aufspießen und dich anschließend vergewaltigen …« Er verfiel wieder ins Bischöfliche. »Möchtest du, dass ich dir die Beichte abnehme, mein Kind?«
»Nein, möchte ich nicht«, knurrte sie. »Ich erzähle dir das als Freund.« Sie zeigte ihm das Schwert. »Es war fast so, als hätte es von allein gehandelt.«
»Wo in Gottes Namen hast du denn das alte Ding her?«
»Einerlei.« Sie hatten Wichtigeres zu besprechen. Sie erzählte ihm, was sie von Wolfs Überfall wusste, von der Rolle, die die verwitwete Lady Wolvercote dabei gespielt hatte, und was, wie sie vermutete, mit Emma, Pippy und Roetger nach ihrer Flucht passiert war.
Sie musste laut sprechen, um den prasselnden Regen draußen zu übertönen, zuckte zusammen, wenn ein Blitz die Ritze in den Fensterläden erhellte, verstummte ganz, wenn der Donner grollte.
»Es geht um Gestalten, verstehst du?«, sagte sie. »Vorstellungen. Die drei wurden zuletzt gesehen, als sie mit dem Trosswagen aus nackter Angst um ihr Leben in diese Richtung flohen. Ich glaube, sie haben den Gasthof hier gesehen, das einzige Gebäude an der Straße, und hier Schutz gesucht.«
»Könnte so gewesen sein, gut möglich«, sagte der Bischof skeptisch.
Wieder unterdrückte sie ihren Ärger. Verdammt, glaubte er ihr etwa nicht? Sah er denn dieses arme Trio nicht so klar und deutlich, wie sie es sah, sah er nicht, wie es verzweifelt an die Tür des »Pilgrim Inn« hämmerte und um Einlass flehte?
Sie sprach verbissen weiter. »Hilda und Godwyn waren von dem Boten des Königs drei Gäste angekündigt worden: ein ausländischer Mann, der die Skelette im Friedhof der Abtei untersuchen würde, eine Lady und ihr Kind. Und da standen sie plötzlich vor der Tür, Master Roetger, der Fremde, Emma und Pippy. Sie passten genau zu den erwarteten Gestalten.«
»Und?«
»Und …« Adelia holte tief Luft. »Ich glaube, sie haben sie ermordet.«
»Was?«
»Sie ermordet. Die Umstände waren ideal. Die drei kamen ohne Schutz an, niemand wusste überhaupt, dass sie eingetroffen waren …«
»Ohne Schutz, Frau? Emma hatte einen meisterlichen Schwertkämpfer bei sich.«
»Sie hatte auch ein Kind. Ich behaupte ja nicht, dass sie auf der Stelle getötet wurden. Wahrscheinlich wurden sie hereingebeten, bewirtet, beruhigt. Aber mit einem Kind bist du einfach verwundbar.« Wütend wischte sie sich die Tränen aus den Augen. Ihr selbst war das einmal bei einer Ermittlung so ergangen, als Allie noch ein Säugling war. Sie hatte sich widerspruchslos in ihr Schicksal ergeben und wäre fast dabei umgekommen,
Weitere Kostenlose Bücher