Der König und die Totenleserin3
die Schränke im Raum zu durchsuchen. Teller in einem, Zinnkrüge in einem anderen. Kerzenhalter und Kerzen, eine Kiste mit scharfen Essmessern. Sonst nichts, wenngleich sie bei dem Licht schlecht sehen konnte.
Sie ging in die Küche, trat einmal fest auf, um die Ratten zu verscheuchen, pustete in die Asche der Feuerstelle und entzündete eine Kerze. Die Flamme verdichtete die Schatten außerhalb ihres Lichtkreises, sodass Adelia auf dem Weg die Treppe hinauf gegen das Gefühl ankämpfen musste, dass jemand mit ihr ging.
Godwyn und Hildas Zimmer war karger als die Zimmer der Gäste. Wohin sie auch immer gegangen waren, sie trugen jedenfalls die Kleidung, die sie am Morgen angezogen hatten, denn eine kleine Truhe enthielt ordentlich gefaltete Tuniken, Röcke, Mieder, Hosen und etliche saubere Schürzen, allesamt zum Schutz gegen Motten mit Poleiminze bestreut.
Adelia zuckte zusammen, als sie eine menschliche Gestalt hinter der Tür erspähte, doch bei genauerem Hinsehen waren es nur zwei Umhänge, die an einem Haken hingen. Sie sah einen Wasserkrug und eine Schüssel, beides leer, neben einer Untertasse mit Seifenkraut. Auf einem Holzbrett bemerkte sie ein Rasiermesser, Kämme und etliche Töpfe, die sie alle öffnete, ohne etwas anderes zu finden als Arzneien. Eine Flasche enthielt eine beißend riechende Tinktur aus Klettenwurzeln, was vermuten ließ, dass mindestens einer der Eheleute unter Verdauungsproblemen litt. Wahrscheinlich Godwyn, dachte Adelia in Erinnerung an die ständig leicht gequälte Miene des Wirtes.
Sie kniete sich hin, um unter das Bett zu spähen, wo sie aber nur einen Nachttopf entdeckte. Sie wendete die Strohmatratze und untersuchte die Streben, auf denen diese lag. Sie klopfte jede Bodendiele ab, um festzustellen, ob sich darunter ein Hohlraum verbarg.
Nichts. Eine völlig harmlose Kammer.
Der Gemeinschaftsraum, in dem ärmere Gäste dicht an dicht schlafen mussten, war gefegt worden und leer bis auf ein großes Bettenpodest, von dem das Stroh entfernt worden war, und eine riesige Truhe mit dem Bettzeug des Gasthofs, die angenehm duftete, weil verstreut zwischen den Laken getrocknete Rosmarinnadeln und Salbeiblätter lagen.
Das Zimmer, das sie mit Allie bewohnt hatte, war nebenan, und als Adelia hineinging, hoffte sie wider besseres Wissen, dass Gyltha beim Packen irgendwas übersehen hatte, das sie anziehen könnte. Die Kleider, die sie am Leib trug, hatten im Wald arg gelitten.
Natürlich war nichts mehr da. Gyltha hatte nicht mal eine Nähnadel vergessen. Aber immerhin war der Krug neben der Waschschüssel noch mit Wasser gefüllt …
Eine Tür draußen auf dem Flur knallte, als hätte jemand sie zugeschlagen. Es war die Tür zu Mansurs und Gylthas Zimmer. Sie ging nachsehen. Der Wind konnte es nicht gewesen sein. Es gab keinen Wind.
Doch, es gab Wind. Das Gewitter trieb eine leichte Brise vor sich her, die auf dem Flur für einen Luftzug sorgte.
Adelia hastete zurück in ihre Kammer und verriegelte die Tür. Was auch immer da draußen war, falls etwas da draußen war, sie konnte ihm besser sauber entgegentreten – oder noch lieber ihm gar nicht entgegentreten und sich hier in eine Ecke verkriechen.
Zitternd zog sie sich aus, schrubbte und wusch sich wie verrückt, bewahrte noch ein wenig Wasser für ihr Haar, das sie zu einem Zopf flocht – ihr Kopftuch wieder anzulegen lohnte sich nicht, da es im Wald von Ästen ganz zerfetzt worden war.
So. Falls sie getötet wurde, wäre sie nun zumindest ein sauberes Opfer. Aber dann, während sie sich wieder ankleidete, dachte sie: Du Närrin, du hoffst noch immer, dass Rowley kommt.
Sie riss die Riegel zurück und ging, in einer Hand die Kerze, in der anderen den Griff des Schwertes, das in dem Strick um ihre Taille steckte, auf die Tür zu, die zugefallen war. Das Schloss war nicht eingerastet, und die Tür bebte in dem Luftzug, der inzwischen stärker geworden war. Erste Regentropfen prasselten wie Körner auf das Dach des Gasthofes. Irgendwo klapperte ein loser Fensterladen.
»Ich warne dich, ich bin bewaffnet«, rief sie und trat die Tür auf. Im selben Moment fegte ein Windstoß von einem Flurfenster zum anderen und blies ihre Kerze aus.
Nein. Nein, so mutig bin ich nicht.
Als sie zur Treppe hastete, brach das Unwetter los. Donner ließ den Himmel zerbersten. Die Vordertür des Gasthofs stand auf, Regen trieb herein. Blitze zuckten, und in dem gleißenden Licht sah Adelia die Umrisse einer Kapuzengestalt, die unten nass und
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