Der König von Berlin (German Edition)
kein Angebot mehr, Sie hatten Ihre Chancen.»
Lanner nahm seine ganze Kraft zusammen und sagte so fest wie möglich: «Vielleicht ja doch!»
«Vielleicht ja doch was?» Dr. Kersting schien interessiert.
«Vielleicht werden Sie mir ja doch noch ein Angebot machen, wenn Sie erst meine Verhandlungsposition kennen.» Lanner zog sein Smartphone heraus und betrachtete den Touchscreen. «Ist es nicht erstaunlich, was diese Geräte mittlerweile alles können? Da kann ich ohne Probleme unsere ganze Plauderei aufnehmen und sie dann mit nur zwei, drei Fingertippsern als MP 3-Datei an mehrere Mailadressen schicken. Noch ein Drücken, und Ihr ganzes schönes Geständnis ist unterwegs. Im weltweiten Netz, ohne je wieder eingefangen werden zu können. Das Netz vergisst nie.»
Wie den Zeitzünder einer Bombe hielt er sein Smartphone in die Luft. Er hatte wirklich einen Plan gehabt. Nun betete er, dass er aufgehen möge.
N ur wenn man genau hinsah, fiel es auf: das Heer von unauffälligen Mittelklassewagen, die so dermaßen unauffällig waren, dass sie fast schon wieder ins Auge stachen. Aber da niemand genau hinsah, bemerkte es auch keiner. Den Wagen entstiegen unauffällige Männer und auch ein paar unauffällige Frauen, in unscheinbaren grauen Anzügen oder Kostümen.
Ein unbefangener Beobachter musste dies für den Betriebsausflug des deutschen Sparkassenverbands halten. Dabei war es eine Armee. Eine Armee auf dem Weg in eine der größten Schlachten in der Geschichte Berlins.
Toni Karhan fühlte, dass es ein historischer Moment war. Zum ersten Mal war es gelungen, alle Kammerjäger der Region zusammenzuführen. Sie zu einer geschlossenen Streitmacht zu vereinen. Toni sah sie und war stolz. Wie sie da standen, gepflegt, dezent, optisch unaufdringlich. Menschen, die man, kaum hat man sie getroffen, schon wieder vergessen hat. Bei deren Anblick niemand etwas Unangenehmes, gar Ekliges in den Sinn käme, wenn sie beim Nachbarn läuteten. Auch Georg ließ seinen Blick wandern und bekam feuchte Augen. Es war die unsichtbarste Armee der Welt.
Auf dem Seitenstreifen der Straße des 17. Juni, zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor, wo es sonst Fanmeilen und Silvesterfeiern gab, hatte Toni diese Besprechung einberufen. Nun erklärte er auf mehreren Flipcharts, wer wo, wie und wann mit Futter, Gift, Flammen oder Sand in die U-Bahn-Linie 2 steigen und auf die Ratten einwirken sollte. Das Ziel kannten alle: Möglichst viele Tiere sollten durch den Tunnel zunächst zum Alexanderplatz und dann ins Alexa getrieben werden.
Trotz des Verkehrslärms musste Toni nicht laut sprechen. Seine Krieger waren es gewohnt, sich zu konzentrieren und auf kleinste, leiseste Geräusche zu achten. Georg staunte. Er wusste, dass ein guter Kammerjäger eine schnelle Auffassungsgabe brauchte und obendrein die Entschlossenheit, ohne Zögern zu tun, was zu tun ist. Aber diese Professionalität beeindruckte ihn nun doch mehr als erwartet. Die «Men in Grey». Was ihm vor kurzem noch als romantische Verklärung des Kammerjägerberufs vorgekommen war, zeigte sich nun als Realität.
Vielleicht kam auch der Respekt vor Toni Karhan hinzu, dem neuen Chef des größten, wichtigsten und innovativsten Kammerjägerunternehmens, dem designierten König von Berlin, dem nächsten Fackelträger der Legende, der all diese Menschen so hochkonzentriert sein ließ. Der Ruf der Firma war ungebrochen. Wie hatte der alte Machallik so gerne gesagt? «Wir sind das Apple unter den Kammerjägerbetrieben, und ich bin Steve Jobs. Und Bill Gates eigentlich auch, in Personalunion.» Was, wie Georg fand, wirklich einer seiner unglücklicheren Vergleiche war.
Nachdem Toni seinen Vortrag beendet und die Routinefrage gestellt hatte, ob es noch Fragen gebe – es gab keine –, schärfte er seinen Kollegen noch einmal nachdrücklich ein, dass die ganze Sache absoluter Geheimhaltung unterliege. Nichts von dieser Aktion dürfe an die Öffentlichkeit dringen. Die Kollegen nickten, wie man eben nickt, wenn jemand eine Selbstverständlichkeit ausspricht, und machten sich auf den Weg an ihre Einsatzorte. Georg packte die Flipcharts in den Firmenkombi, Toni räumte seine Unterlagen zusammen.
Als sie im Wagen saßen und Georg den Motor anließ, quäkte automatisch das Radio los: «Wie wir gerade erfahren, wird es heute im und um das Alexa herum eine große Aktion zur Bekämpfung der Rattenplage geben. Genauere Informationen dazu hier auf 99,9 in wenigen Minuten.» Dann lief ein Jingle:
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