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Der König von Havanna

Der König von Havanna

Titel: Der König von Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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dicke Alte verkaufte Mangos. Alles gegenüber der Kirche. Ein Stückchen weiter waren die Polizisten zugange. Er hatte wieder Hunger. Was für eine Nerverei dieses Essen auftreiben, Essen auftreiben und wieder Essen auftreiben. Die Sonne brannte auf den Platz zwischen der Kirche und den Molen. Die Fähre legte an und spie eine Meute hektischer Leute aus. »Warum sind die nur so in Eile, wo sie doch einmal sterben müssen?«, ging es ihm durch den Kopf.
    Eine ältere Frau, tiefschwarz und sehr dick, löste sich aus der Gruppe. Sie trug einen langen Rock, eine weite Bluse und ein Tuch. Alles in Blau und Weiß, genau wie ihre Halsbänder. Sie kam direkt auf ihn zu, ganz nahe an ihn heran, kniete sich neben einen üppigen Korallenstrauch, bekreuzigte sich, betete ein Weilchen, holte aus einer Tasche ein paar Früchte, gerösteten Mais, eine Kokosnuss, Bananen, einen Heiligen mit abgeschlagenem Kopf, Münzen, Nägel und bunte Stoffbänder hervor und beträufelte alles mit Bienenhonig. Dann murmelte sie noch etwas, bekreuzigte sich erneut, stand auf und betrat die Kirche.
    »Scheiße, das ist nicht schlecht«, dachte Rey. Sobald die Alte in der Kirche verschwunden war, ging er hin und schnappte sich alles. Er verschlang die Früchte, obwohl sie halb verfault waren. Die Münzen behielt er und machte dann den Heiligen mit den bunten Bändern in einer kleinen Schachtel zurecht, die er ebenfalls dort fand. Er postierte sich in gewisser Entfernung zum Kirchenportal. Jedes Mal, wenn jemand vorüberging, schüttelte er die Schachtel mit den Münzen und den Nägeln und murmelte eine Bettellitanei.
    So vergingen die Tage. Der Trick mit der Puppe war Klasse. Münze um Münze nahm er jeden Tag zig Pesos ein, und niemand behelligte ihn. Er aß eine heiße Pizza und mehrere Brote mit Fleischkroketten. Mit jedem Tag wurde er schmutziger. Zum Glück war er fast bartlos und musste sich nicht rasieren. Gelegentlich kamen andere Bettler. Sie traten an ihn heran und wollten sich unterhalten. Er sah sie nur an und gab keine Antwort. Besser so. Sie glaubten, er sei taubstumm. Wenn sie zu hartnäckig waren, ging er woanders hin. Die Leute nervten ihn. Er wollte niemanden hören. Es langweilte ihn, den ganzen Tag mit dieser Puppe und der Schachtel in der Hand zuzubringen. Ziellos brach er auf, folgte der Landstraße und kam zum Schrottplatz mit dem Alteisen. Ein Sommergewitter braute sich zusammen, mit viel Wind und Donner. Nur wenige Leute unterwegs. Niemand sah, wie er sich in die Büsche schlug. Unter wütenden Böen, Wirbelwinden und Blitzen setzte der Regen ein. Er kroch in den alten Container. Da drinnen gefiel es ihm sofort gut, hatte er doch alles unter Kontrolle. Er zog sich ganz aus und stellte die Schachtel mit dem Heiligen, dem Geld und ein paar Stücken Brot ins Trockene. Nackt sprang er hinaus in den Regen. Es war ein wahrer Wolkenbruch. Er wusch sich ein wenig. Zumindest war der Regen erfrischend. Wasser hatte er nie gemocht. Offenbar war das was Erbliches in seiner Familie. Aber dieses kalte Wasser regte ihn an. Er rieb sich den Schwanz, die Eier, wusch sich, so gut er konnte, bis er eine Erektion hatte. Die erste in vielen Tagen. Er hatte schon nicht mehr daran gedacht, dass er überhaupt einen Schwanz hatte und dass der steif werden konnte. Der anhaltende Regen war wie ein Vorhang, der ihn von der Umgebung abschirmte. Er war ganz allein inmitten von Schrotteisen und Gestrüpp. Sein Schwanz wollte sich gar nicht wieder senken. Er rieb ihn und … genoss es. Im Regen spielend, masturbierte er. Genau wie damals als kleiner Junge, wenn er mit seinem Bruder im Regen auf der Dachterrasse gespielt hatte. Während er masturbierte, musste er lachen und daran denken, wie es seinerzeit auf der Dachterrasse gewesen war. Dann verspritzte er seinen Samen. Viel Samen. Ah, das war’s. Jetzt war er viel ruhiger, wusch sich im Regen und hing seinen Erinnerungen nach. Seit Jahren hatte er sich nicht mehr erinnert.
    »Verdammt, ich darf mich nicht erinnern, an gar nichts!«, rief er ganz laut unter dem schützenden Dach des strömenden Regens.
    Dann wusch er ein wenig seine Kleidung und setzte sich nackt in den Container. Als der Regen nachließ, war er frisch und ausgeglichen. Nach und nach wurde es Abend, und das gefiel ihm. Er verließ den Container, und vor ihm, Richtung Stadt, breitete sich ein herrliches Abendrot aus. Er betrachtete es einen Augenblick lang und hatte ein gutes Gefühl von Wohlsein und Frieden. Doch es hielt nur ein paar

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