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Der König von Havanna

Der König von Havanna

Titel: Der König von Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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wir.«
    Fredesbinda nickte. Ohne sich zu verabschieden, ging Rey zur Tür. Er ließ sie auf, um kein Geräusch zu machen, und stieg langsam die Treppen hinunter.

 
     
     
     
     
     
    Er schlenderte zum Malecón. Ein paar Bierfässer waren aufgestellt. Man bereitete sich auf den Karneval vor. Er kaufte etwas von dem billigen Bier. Es schmeckte nach Essig. Er trank, kaufte mehr, trank weiter. Bald hatte er einen sitzen. Als es Abend wurde, kamen langsam mehr Leute. Das Geld ging ihm aus. Er wollte weitertrinken. Um einen Ausschank herum bildete sich eine große Menschentraube, die für Bier anstand. Es reichte nicht für alle. Nichts reichte je. Sie wollten Bier um jeden Preis. Er mischte sich unter sie. Sie waren verschwitzt und rochen streng. Fast alle waren Schwarze, muskulös, mit intensivem Schweißgeruch. Aggressiv drückten sie sich aneinander, ließen ihren Energien freien Lauf, verströmten ihren Körpergeruch mit ihren roten Halstüchern und Santería-Halsbändern. Inmitten dieses Wirrwarrs Rey, den sie zerknautschten. Sie traten ihm auf die Füße, drückten ihn zusammen, wie beim Trommeln. Kraft und Ausdruck. Muskeln und Schweiß und Hitze. Ein herber Geruch. Die Schwarzen kämpften um ein Maß schlechten, billigen, sauren Biers. Neben dem Fass wurde gerade ein Tablett mit gebratenen Hühnerflügeln auf den Tresen gestellt. Nur Flügel. Mehr als hundert schwarze Frauen stürzten hin, um sie zu kaufen, außerdem vier, fünf weiße Flittchen. Sie kannten nichts. Die Männer bei ihrem kühlen Blonden, die Weiber bei den Hühnerflügeln. Natürlich veranstalteten die Frauen mehr Rabatz als die Männer. Eine dicke Schwarze packte eine andere am Haar und kreischte sie an: »Weg hier! Verpiss dich!«
    Die andere blieb hartnäckig. Da wurde die Dicke noch rabiater. Mit der linken Hand hielt sie die andere Frau am Nacken fest und versetzte ihr mit der Rechten einen harten Kinnhaken. Sie zerschlug ihr Lippen und Zähne. Blut floss. Niemand trat zur Seite. Alle wollten gebratene Hühnerflügel kaufen. Egal wie.
    Inmitten des ganzen Gezeters drückte Rey dem Mann am Ausschank eine Plastikflasche in die Hand. Sie wurde gefüllt und zurückgereicht, zehn Pesos bitte. Er hatte nicht einen Centavo.
    »Ich hab schon bezahlt!«, rief er dem Typen zu und entwischte nach hinten. Der Kerl rief ihm noch etwas nach. Die Schwarzen waren eine kompakte Masse. Rey kam nach hinten nicht weiter. Er duckte sich etwas und entkam eilig seitwärts.
    Endlich hatte er sich aus diesem hartnäckigen und nach Schweiß riechenden menschlichen Gefängnis befreit und beeilte sich wegzukommen. Es war schon dunkel. Schluck für Schluck trank er sein Bier. Es schmeckte nicht mehr nach Essig. So ist das. Der Mensch gewöhnt sich an alles. Gäbe man ihm täglich einen Löffel Scheiße zu essen, würde sich ihm erst der Magen sträuben, doch dann würde er von sich aus hungrig nach seinem Löffel Scheiße verlangen und alle möglichen Tricks ersinnen, damit er zwei und nicht nur einen bekäme. Irgendwo in der Ferne tanzten ein paar Faschingstrupps den Alacrán. Trommeln dröhnten, Trompeten erschallten. Alle lachten und hatten Spaß. Panem et circenses – Brot und Spiele, wie die Römer sagten. Und wenn man dazu noch einen kippen kann, umso besser. Rey war drauf und dran, über die Straße zu den Faschingstrupps und den bunten Lichtern rüberzutanzen, aber es gab auch Polizei und Eisenbarrieren und Streifenwagen. Er ging in die Richtung, doch dann dachte er, ohne Geld und Ausweis und obendrein das erbeutete Bier, lieber nicht. Das hier war kein Aufenthalt für ihn. Er trank den Rest Bier und schlug eine Straße Richtung Jesús María ein.
    Als er in das Viertel kam, war alles dunkel und still. Die Leute waren bestimmt beim Karneval. Er ging weiter bis zum Bahnhof. Hier trieb er sich gerne herum. Es war das Einfallstor für die Leute vom Land. Sie kamen mit ihren Warenbündeln und waren gelegentlich unvorsichtig. Jetzt war kein Polizist in Sicht. Wahrscheinlich patrouillierten sie beim Karneval. In dieser Gegend gab es nur wenig Licht. Er konnte darauf warten, dass ein Zug ankam. In dem kleinen Park neben dem Bahnhof setzte er sich auf eine Bank. Noch immer hatte er einen sitzen. Er nickte ein und schreckte zwischendurch immer wieder auf, um zu sehen, ob nicht ein Zug käme. Nach und nach schlief er ein, von Müdigkeit übermannt. Ein paar Pfiffe weckten ihn. Ein Zug fuhr ein. Er wurde munter, sah sich um und unternahm eine kleine Runde durch den

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