Der König Von Korsika
weniger Jahre amortisieren, gelang es ihm nur, die finanziellen und militärischen Voraussetzungen zu schaffen und ein wenig auf Zeit zu spielen.
Mit niemandem, das wußte er, gehen Banken und Gläubiger zärter um als mit ihrem größten Schuldner, der sie, ertrinkt er, mit ins Verderben reißt, und Theodor zögerte keinen Augenblick, mit seinem eigenen Namen zu zeichnen, nur nicht bei seinem Freund Cats, den er zwar um Rat bat, aber nicht um Geld. Ansonsten meinte er bereits Korsika, sobald er ich sagte, und umgekehrt.
Was auch ein Grund dafür sein mochte, daß er keine Sekunde zögerte, die gesamten Barersparnisse seiner Schützlinge und zukünftigen Untertanen für sich persönlich zu verwenden. Zum einen aus Kalkül: einem Bittsteller, der nicht herrschaftlicher auftritt als seine Finanziers, schenkt man kein Vertrauen; und dann war es lange her, fand Theodor, daß er in einem ihm gemäßen Rahmen gelebt hatte.
Er quartierte sich unterwegs mit einer jeweils vor Ort engagierten Schar von Domestiken und Sekretären in herrschaftlichen
Stadthäusern ein, gab Empfänge, Diners, mietete die Hamburger Oper zu einer Privatvorführung an, beschenkte Kutscher, Zuckerbäcker und Sängerinnen, ließ geschäftliche Verabredungen fahren, um sich sechs Schimmel für eine Equipage anzusehen, die er, sollten sie ihm gefallen, seiner Schwester oder seiner Frau zudachte – kurz, er gab die in fünfzig Jahren gesammelten Ersparnisse dreißig korsischer Patrizier in sieben Monaten bis auf den letzten Heller aus, verfügte jedoch auch am Ende dieser Zeit über mehr als eine Million Louis, was ausreichte, Korsika ein Jahr lang mit genügend Lebensmitteln, Waffen und Munition zu versorgen, um die Genueser aus dem Land zu werfen.
Später dachte Theodor oft, daß er nie wieder so königlich gelebt hatte und aufgetreten war wie in jenen Monaten, da noch keine Kompromisse und Realitätsscharten seine Vision verunstalteten. Es war die Euphorie der Antizipation, die Euphorie beim Anblick der dunstverhangenen Sehnsuchtsküste.
Es begann, spürte er, der Erntemonat eines ganzen Lebens. Ja, sagte er sich, es ist die große Gelegenheit, die große Männer macht, allerdings muß man auch die Fähigkeit haben, ihr im rechten Moment über den Weg zu laufen. So erwiesen die Mäander seines Lebens sich mit einem Mal als der einzig mögliche Weg, den Treffpunkt mit dem Schicksal weder zu früh noch zu spät zu erreichen. Halb Verstandenes, nonchalant Gelerntes, frech Nachgeäfftes aus den unterschiedlichsten Fakultäten formte sich plötzlich zu genau dem Schatz von Welt- und Menschheitswissen, aus dem der Herrscher eines gefährdeten kleinen Königreichs im Mittelmeer mußte schöpfen können.
Von seinen Visionen und Plänen zum zukünftigen Idealstaat Korsika berichtete er zu Land und zu Wasser, halb materialistischer Philosoph, halb orientalischer Märchenerzähler, der wachsenden Schar professioneller Zuhörer und
Begleiter, die sich um ihn sammelten und ihren Lesern in wöchentlichen oder monatlichen Lieferungen von seiner Odyssee auf dem Weg zur Macht berichteten.
Seit dem August 1735, seit er in London Musketen und Kanonen in auffälligen Quantitäten gekauft hatte, wichen vor allem zwei englische Reiseschriftsteller oder Journalisten nicht mehr von seiner Seite, denen sich später, aber nur interimär, denn er war ein rechter Angsthase und scheute vor Hafenkneipen und nächtlichen Gassen ebenso zurück wie vor längeren Seereisen, ein deutscher Dichter zugesellte. Es handelte sich um einen entlaufenen Privatlehrer, der auf seiner Bildungsreise in Genf hängengeblieben war und, blind fasziniert von Theodors Lebensziel und den Brosamen, die bei Tisch für ihn abfielen, Oden und Gedichte auf ihn komponierte. Die Engländer mit ihrer faktenreichen Prosa verachtete er als minderwertige Konkurrenten um den Platz in der Sonne des Bewunderten, lehnte sich aber nie offen gegen sie auf, nur nörgelnder Weise und in Versen an Theodor, für dessen privilegierten Vertrauten er sich allen Ernstes hielt und dem er als Landsmann näher am Herzen zu sein glaubte als die zynischen Angelsachsen.
Dieser Ludwig Overbeck scheute sich, die Rückreise nach Korsika auf dem Seeweg mitzumachen, auf dem sie im November die Meerenge von Gibraltar passierten und vier Tage später von Korsaren aufgebracht wurden, die das vollbeladene, unter holländischer Flagge kreuzende Schiff Theodors in den Hafen von Tunis eskortierten.
Unterdessen hatte ein Brief Giafferis
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