Der König Von Korsika
Sein vager Blick glitt über ihre Haut hinweg auf die weiße Wand.
Auch Leute wie die Herrnhuter, die in Sachsen immer mit einem Fuß im Zuchthaus gelebt hatten, würden herkommen.
Protestantische Stoffmanufakturen und Webereien, hugenottische Möbelwerkstätten, griechische Öl-und Weinhändler, jüdische Minenbesitzer und Bankiers, die im Laufe von drei oder vier Generationen zu Korsen würden und das Blut der Urweinwohner entspannten.
Ein König, wie man sie bisher gekannt hatte, dachte er, wäre solcher Visionen nicht fähig. Aber er, Theodor Neuhoff, Rex Corsicae , war nicht der Hüter hemmender Traditionen, auch wenn er die Werte seines Standes, die Religion und die Ehrfurcht vor der Genealogie mit einem nostalgisch-liebevollen Respekt hochhielt, der nicht mehr allen Ernstes fähig war, an sie zu glauben. Prinzipien, Denkverbote und Verschrobenheiten behielt er sich zwar vor, aber kein durch die Generationen träge gewordenes Monarchenblut verdammte ihn zur Etikette der Unbeweglichkeit. Nur ein Revolutionskönig wie er, nur ein Landesfremder, nur jemand, der auf dem Scharnier der Epochen lebte, vermochte nach hinten ebenso vorurteilslos zu blicken wie nach vorn.
Mit dem Besten des Abendlandes, gleich welcher Zeit es entstammte, würde er diese Insel, sobald sie erst einmal befreit war, zu einem Schatzkästlein Europas machen. Vielleicht war er tatsächlich dazu berufen, eine Jahrhundertgestalt zu werden.
Sein Blick, der wieder scharf wurde, fiel direkt auf Angelinas schwarzes Vlies. Sie stand vor ihm, griff mit je drei Fingern in die dichten Locken und zog sie auseinander, wie die Frauen im Hafen von Tunis die Perlenschnüre vor den Eingängen der Lusthöhlen beiseite geschoben hatten, um den Fremden näherzulocken.
Ah, nein, nicht jetzt, sagte Theodor unwirsch. Zu seiner eigenen Überraschung verspürte er nicht die geringste Lust. Geh weg, Angelina, ein andermal, ich muß arbeiten.
Es war das erste Mal, daß er in ihrer Gegenwart nicht früher oder später der horizontalen Versuchung erlag, und
als er zur Kampagne durch den Nebbiu und die Balagna aufbrach, fragte er sich besorgt, wie das möglich und ob er schon nicht mehr König und diszipliniert genug sei, der Liebe ebenso ihren Platz in seinem Tagesprogramm zuzuweisen wie den übrigen Pflichten, denen er nachzukommen hatte.
Erst als er sein unstetes Nomadenleben zwischen Feldzügen und Kurzzeitresidenzen in den Provinzen unterbrach und aufgrund des Prozesses Casacolli nach Corti zurückkehrte, während die Armee des Obersten Fabiani zur Belagerung Bastias zog, war Angelinas Körper in Theodors Vorstellung wieder so weit von Janes Geist entfernt, um sie von neuem begehren zu können.
Aber nach der Umarmung begann sie zu weinen und hörte nicht mehr damit auf, bis Theodor völlig verunsichert über die Qualität seiner Liebkosungen und so ernüchtert war, als seien die Tränen des Mädchens ein Guß kaltes Wasser über Stirn und Nacken. Er wollte sie gerade ärgerlich fortschicken, als sie sich mit einer Geste, die zu theatralisch war, um vollkommen impulsiv sein zu können, vor ihm auf den Boden warf und sich die Haare zerraufte.
Theodor, in Sachen schauspielerischer Leistung seit jeher pingelig, sagte kurz angebunden: Was ist, Kind? Spann mich nicht auf die Folter und komme zum Wesentlichen, ich habe nicht viel Zeit heute morgen.
Majestät, Don Teodoro, Geliebter, bitte schlage mich, ich hab es verdient, ich bin eine Spionin, eine nichtswürdige, Genua bezahlt mich, strafe mich, bringe mich um, von eigener Hand und schnell, aber laß mich nicht foltern, ich flehe dich an, ich habe solche Angst vor Schmerzen, ja, ich bin angesprochen worden, im Hafen von Bastia, wo ich arbeitete, von einem Offizier des Stadtkommandanten, daß ich in deine Nähe gelangen soll und ihnen alles erzählen, was du denkst und tust, ich schäme mich so sehr, heilige Mutter Gottes, hab Erbarmen mit mir, jetzt und in der
Stunde unseres Todes, es war soviel Geld, und ich hab doch nichts und muß mein Kind ernähren, das bei einer Amme lebt, denn es kann doch nicht... Aber ich habe mich in dich verliebt, Majestät, mein Gebieter, der mein Land befreit, gleich am ersten Tag und bin tausend Seelentode gestorben jedes Mal, wenn ich etwas berichtet habe, viel war es ja nicht, nichts Wichtiges, doch verdiene ich natürlich gewiß trotzdem den Tod, aber Euch, Majestät, habe ich sofort geliebt, hoffnungslos, wie ein Mädchen aus dem Hafen eben einen König liebt, und Ihr habt mich
Weitere Kostenlose Bücher