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Der König Von Korsika

Titel: Der König Von Korsika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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Schwester liegt doch im Sterben, wir müssen noch rechtzeitig an ihr Lager! Wie hatte er das nur vergessen können? Er hatte so viel mit den entlaufenen Katzen zu tun gehabt, daß er an das Wichtigste nicht dachte. Aber wie konnte Jane im Sterben liegen, wenn sie eben noch die Katzen hinausgelassen hatte. Dann fiel ihm ein, daß er nicht zu ihr durfte, bevor er seine Aufgabe gelöst hatte. Ich warte nicht mehr länger auf dich, rief Larbi mit einer Frechheit, die er vor Theodors Verhaftung nie gezeigt hatte. Unter Theodors Füßen waren keine Pflastersteine mehr, sondern Schlamm, der sich bei jedem Schritt schmatzend um seine Schuhe schloß und es ihm unmöglich machte, die Beine zu heben. Der Winkel des Regens zu den Mauern aus großen grauen Steinquadern öffnete sich immer weiter, wie eine Schere. Die konzentrischen Kreise der Pfütze, in der er stand, formten einen Brunnenschacht, in dessen Tiefe er einen Kopf sah, der ihn hilfesuchend anblickte. Er tauchte hinab, um ihn zu retten.
     
    Jeremie Larkoszi befand sich, seinen Handkarren schiebend, in dem ein in alte Mäntel eingeschlagener Messinglüster, mehrere Schlüssel und Schlösser, ein schmiedeeisernes Kaminbesteck und ein Satz kupferner Kasserollen lagen, auf dem Rückweg nach Soho, wo er in einem Souterrain der Little Chapel Street N°5 einen Trödel- und Altkleiderladen besaß und mit seiner Mutter lebte.
    Er war ein kleiner, zartgebauter Mann mit olivfarbenem
Teint, dunklen Augen und noch dunkleren Ringen unter ihnen. Seine flach ansteigende Stirn ging über in einen fast kahlen Kopf, den schwarzes Haar in mehreren Querbahnen schraffierte. Er trug ein Käppchen auf dem Hinterkopf und kaute beim Rechnen abwechselnd an seinen Schläfenlöckchen. Fragte man ihn nach seinem Befinden, gruben sich schwere Sorgenfalten in seine Stirn, und er antwortete: Eigentlich recht gut, ich kann nicht klagen. Es ist nicht mehr so wie früher, gewiß, aber es geht ganz ordentlich.
    Nun hätte man annehmen können, er sei, angesichts solcher Vorsicht im Ausdruck, ein wohlhabender Mann, der nicht durch zu große Zuversicht den bösen Blick provozieren wollte. Das war jedoch nicht der Fall, aber gerade deshalb, eingedenk der Erfahrungen Hiobs, wollte Jeremie Larkoszi nicht anfangen zu rechten und sich zu beklagen.
    Heute hatte er ein für seine Verhältnisse ausgezeichnetes Geschäft gemacht, um so tiefer verkroch er sich beim Gehen in seine schwarze Pelerine, in der er am liebsten ganz verschwunden wäre, aus Furcht, jedermann könne die Zufriedenheit über den günstigen Abschluß auf seinem Gesicht lesen wie in einem offenen Kontobuch. Er starrte auf den schlammigen Boden und flüsterte: Ich bin nicht da, es gibt mich gar nicht. Ich habe eine neue Niederlage erlitten und schleiche nach Hause zu meiner Mutter, Gott erhalte sie.
    So sah er den im Straßenschmutz ohnmächtig daliegenden Mann.
    Warum ich! war sein erster Gedanke. Warum muß ich vorbeikommen, wenn so einer daliegt, ein armer Bettler, und am Verhungern ist? Warum kommt in solchen Momenten nie ein Reicher vorbei oder ein Doktor? Vielleicht ist er ja schon tot? Oder nur besoffen?
    Es war Jeremie, der sich dafür verfluchte, nicht möglich, seinen Weg fortzusetzen und seine Waren, an dem zusammengesunkenen Menschen achtlos vorübergehend, in Ruhe
nach Hause zu bringen. Er setzte den Handkarren ab und beugte sich über die Gestalt, deren Mantel und Schuhe schmutzig und durchnäßt waren. Vorüberfahrende Kutschen hatten die houppelande mit gelben Lehmspritzern besprenkelt.
    Oijoi, warum ich? sagte Jeremie laut, während er den Körper umdrehte. Er blickte in ein abgezehrtes Gesicht unter nassem, an der Stirn klebendem, grauem Haar. Der Mann atmete. Eine Fahne hatte er nicht.
    Man kümmert sich schließlich auch um kranke Tiere, sagte Jeremie, nicht wahr? Warum also nicht um Menschen? Was hast du denn da um den Hals hängen, mein Freund?
    Er sah sich den vierzehnstrahligen Stern an, der ein Medaillon umschloß, das eine nackte Frau mit Schwert und Waage zeigte. Er konnte sich keinen Reim darauf machen, aber die Kette war womöglich vergoldet. Wo hast du die denn geklaut, mein Junge? Jetzt mußt aber wach werden. Wie soll ich Zwerg denn so ein Trumm wie dich auf die Füße hieven, hm? Komm, werd wach.
    Er klopfte mit seiner kleinen Hand dem Ohnmächtigen leicht links und rechts auf die Wangen, bis der die Augen aufschlug.
    Komm, Freund, so kannst du hier nicht liegen bleiben, sagte er in den vagen Blick des Erwachenden

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