Der König Von Korsika
hinein.
Der König tauchte aus sehr tiefen Träumen langsam zur Oberfläche empor. Er versuchte sich zu erinnern, zu orientieren.
Walpole? fragte er.
Jetzt steh erst mal auf, sagte Jeremie ungeduldig und sah sich hastig um. Vor allem wollte er vermeiden aufzufallen. Er verwünschte sich bereits für seine gutmütige Schwäche.
Ich bin der König von Korsika, brachte Theodor mit noch immer glasigem Blick hervor.
Gewiß, und ich bin der König David. Und jetzt stehst
bitte auf und machst keine Umstände, damit wir in mein Schloß reiten können.
Er erschrak, als er dem Verwirrten auf die Beine half, über die Leichtigkeit des hochgewachsenen Leibs und sah ein, daß der Geschwächte unmöglich bis zur Little Chapel Street würde gehen können. Seine Gedanken eilten der Zeit voraus, und während er die Pelerine des Königs abklopfte, erklärte er: Meine Mutter wird sich nicht freuen, wenn ich noch einen Esser mitbringe. Sie meint, ich sollte lieber eine Frau mitbringen, die ich geheiratet habe und die Ordnung machen kann, sie meint, man findet eine Frau, wie man Türschlösser und Klamotten findet, oder kann sie zur Not mit dem Stemmeisen aus der Fassade brechen. Mußt dir nichts dabei denken. Für einmal essen und schlafen verbürg ich mich schon. Hast lange nichts mehr gegessen, was?
Theodor, noch immer in einer weichen und durchsichtigen Zwischenwelt am Rande wachen Bewußtseins, sagte höflich: Das macht nichts, Sir, sehr freundlich von Ihnen, denn die zweite Erinnerung außer dem Namen Walpole war die an den inneren Befehl, Würde und Haltung zu zeigen.
Kopfschüttelnd und Verwünschungen kauend, hob Jeremie den Lüster aus dem Karren und bugsierte den König hinein. Dann deckte er ihm Knie und Schoß mit dem alten Mantel zu und drückte ihm die sechsarmige Messingspinne in die Hand.
Gut festhalten, nicht fallen lassen, das ist mein Wochenverdienst. Hörst du?
Gewiß, Walpole, sagte Theodor mechanisch. Sobald wir gespeist haben und ich etwas ruhen konnte, wollen wir unsere Strategie noch einmal durchdenken. Ich brauche natürlich vor allem Waffen und Munition.
Oijoi! stöhnte Jeremie auf, zog die Schultern hoch, damit sein Kopf im Mantelkragen verschwand und leitete mit verschlungenem Zeige- und Mittelfinger den bösen Blick
zur Erde ab. Waffen und Munition! Er deliriert! Hoffentlich!
So gelangten sie bis nach Soho. Jeremie schloß auf und klappte die Holzläden hoch. Dann trat er die sechs Stufen ins Souterrain hinunter und rief: Mama, ich bin’s! Ich habe einen Gast mitgebracht. Keine Sorge! Alles ist in Ordnung!
Jetzt kommst du nach Hause! ertönte eine kreischende Stimme aus der Dunkelheit des Ladens. Deine Mutter weint sich die Augen aus dem Kopf. Ihr Sohn, ihr einziger Sohn, treibt sich den ganzen Tag in der Stadt herum, amüsiert sich, vergißt die Arbeit, vergißt seine Mutter, die hier sterben könnte währenddessen, von den Ratten und Würmern aufgefressen, hilflos, alleine und in Angst um dich, aber -
Aber, Mama, ich war gerade eine Stunde fort!
Und was ist das, was sagst du da? Die Stimme näherte sich, und Jeremies Mutter erschien am Fuß der Treppe, eine kräftige Frau mit rotem Kopf und ein wenig zotteligem Haar. Sie stemmte die Arme in die gepolsterte Taille und erfaßte mit einem Blick ihren Sohn, der die Auslage aufbaute, und den Mann, der im Handkarren saß, den Lüster auf dem Schoß.
Jeremie! rief sie schrill und sprach dabei das »J« nicht englisch aus, sondern wie in »Jemineh« oder »Je nach dem«. Nicht nur bringst du wieder so einen Hungerleider mit, es ist auch noch ein Goi! Willst du uns denn ruinieren?
Aber, Mama, der arme Mann. Er soll doch nur einen Krusten Brot essen und schlafen und dann seiner Wege gehen.
Theodor reckte sich hoch, legte vorsichtig den Lüster beiseite und stieg aus dem Karren. Er bewegte sich vorwärts, verneigte sich, zog dabei den Hut und sagte: Madame, es ist mir eine Ehre. Ich bitte es zu entschuldigen, wenn ich Sie inkommodiere.
Wenn Sie mich was? Aber woher denn, keineswegs...
Sie starrte mit wildem Blick zwischen ihrem Sohn und dem Fremden hin und her, als spiele man ihr eine Farce, die sie nicht verstand. Jeremie drehte begütigend den Finger vor der Stirn.
Aber der König war mittlerweile wieder soweit bei Bewußtsein, daß er verstand, nicht im Hause Walpoles zu sein. Er erinnerte sich an seine Entlassung und die ersten darauf folgenden Minuten und zog den Schluß, daß er vor Schwäche einen Ohnmachtsanfall erlitten hatte und
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