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Der König Von Korsika

Titel: Der König Von Korsika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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offenbar zu tun war, wobei wohlige Schauer den ganzen Körper durchrieselten; es war wie wenn man ganz müde ist vom Reiten oder Wandern oder Schwimmen und endlich im Bett die Beine ausstrecken kann.
    Dasselbe Gefühl stellte sich auch ein, wenn Minne ausdauernd sein schulterlanges Haar kämmte – da begann es auf der Kopfhaut und lief von dort wie warmer Regen in kitzelnden Rinnsalen über Schläfen und Schlüsselbeine abwärts – oder wenn Amélie seinen Arm streichelte, daß die Flaumhärchen seines Nackens und seiner Arme sich aufrichteten, oder wenn die kühle Hand seiner Mutter auf seiner Stirn lag und seine Haarsträhnen um die Finger wickelte.
    Es war ein Gefühl, das nur in vollkommener Reglosigkeit gedieh, ein Mit-sich-Geschehen-Lassen, es ähnelte dem Toter-Mann-Spielen auf der sonnenglitzernden Oberfläche des Sees und besaß ein süßes kreiselndes Nicht-zu-Ende-Kommen. Es begann leise wie eine Nachmittagsbrise, wurde ziehend und zehrend und verklang dann langsam wieder. Daß etwas daran zu fehlen schien, verlieh diesem Wonnegefühl eine Spannung wie sie ein unaufgelöster
Akkord besitzt, paarte es mit einer gewissen nervösen Erwartung auf mehr, in der Haut und den Gliedern, ließ es in den Fingerspitzen prickeln und öffnete Ausblicke auf weite Täler der Phantasie, die in seinem Abklingen leise und etwas melancholisch verschatteten.
    Kurz, es war angenehm, höchst angenehm, ein lethargischer Genuß, der angenehmste körperliche Zustand, den er kannte, nun und? Worauf wollte der alte Franzose hinaus mit seinen Leeuwenhoek’schen Wie-sie-auch-immer-Hießen?
    Der alte Franzose fragte nicht weiter und bat, sonderbar genug, um eine Unterredung mit Theodors Mutter. Die lauschte den Ausführungen des Magisters ungerührt mit kühlen grauen Augen.
    Non, Monsieur, je n’ai pas l’habitude de surveiller la quequette de mon fils, war alles, was der am Schlüsselloch lauschende Theodor verstand, und er schloß aus alledem, an einer tödlichen Krankheit zu leiden, die De Broglie durch irgendeine Blöße, die er sich gegeben, entdeckt hatte. So war es also schon vorbei mit seinem Leben, und all seine Träume waren koboldhaft täuschende Schimären gewesen. Er sackte auf den Steinfliesen zusammen. Den kalten Schweiß von der Stirn wischend, begann er zu beten: Gott, wenn du – da öffnete sich die Tür, Theodor vermochte seine Haltung gerade noch rechtzeitig als Polieren seiner Schuhschnalle zu tarnen, und Amalia und De Broglie traten heraus. Der Todgeweihte blickte zwischen Mutter und Lehrer hin und her, und noch unerträglicher als die Sterbensgewißheit war die Indiskretion dieses Mannes, der von dem intimsten aller Geheimnisse, nämlich seinem bevorstehenden Tod, eher gewußt hatte als er selbst. Daß der Franzose auch noch lächelte, war das Ungeheuerlichste, denn auch, wenn er es tröstend meinte, war es doch eine der Tragik des Augenblicks schauderhaft unangemessene Geste.
    Auf dem Wagen, der Mutter und Sohn in den Marktflecken
brachte, erfuhr Theodor, daß es nicht ums Sterben ging, sondern um eine Operation. Aus ihren Andeutungen konnte er sich einiges zusammenreimen, vor allem aber – und das war schlimmer als der Tod, weil peinlicher -, daß er offenbar in einem gehemmten, unnatürlichen, frühkindlichen Zustand gelebt hatte, ohne es zu ahnen, eine Art retardiertes Monstrum also war. Dutzende von Anspielungen und Aufschneidereien der Dorfburschen, die er von fern gehört hatte, ohne sich einen Reim darauf machen zu können, bekamen mit einem Mal Relief. Die würgende Angst, zu kurz gekommen zu sein im Leben, ohne sich doch vorderhand exakt erklären zu können, wie und wodurch, weitete sich während der Fahrt zum Gefühl einer alptraumhaften Entfernung aus der Realität, als seine Mutter, mehr zu sich selbst, sagte: Einen Bader, einen Quacksalber kann man so etwas nicht tun lassen, das muß ein Mohel machen. Theodor verstand das Gemurmel nicht, er hatte plötzlich den Eindruck, eine fremde Frau sitze mit ihm im Wagen.
    Der bärtige Mann mit den Ringellocken wiegte bei seinem Anblick bedächtig den Kopf und dienerte tief: Hoheit, ist kompliziertere Sache bei einem so großen Jingel wie junge Hoheit als bei kleinem Säugling...
    Amalia schwenkte ein klingelndes Säckchen, und der Bärtige verneigte sich nochmals. Theodor hatte beschlossen, was immer ihm bevorstand, wie ein Mann zu bestehen. Als er aber sah, wie der Mann das zweischneidige Messer mit der runden Kuppe schärfte und einen flachen

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