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Der König Von Korsika

Titel: Der König Von Korsika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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lange vor und formulierte die Sätze so oft im Geiste, daß er sich irgendwann beinahe so fühlte, als hätte er sie laut ausgesprochen, sich mit dieser halben Erleichterung begnügte und den Rest der Zeit überließ. Amélie war zu hochherzig, jemals nachzufragen.
    Aber obwohl De Broglie fort war, konnte Theodor die durch ihn erlittenen Erniedrigungen nicht vergessen. Er ging durch Haus, Garten und Dorf wie mit roter Farbe angestrichen und betrachtete jedermann mit einer geheimen Abneigung und Rachsucht. Am liebsten hätte er sich in Luft aufgelöst, wäre verschwunden, irgendwohin, wo er ein unbeschriebenes Blatt war, wo nur das Sein zählte und nicht das – mangelhafte – Tun.

    Aber als der Graf von Mortagne in Aussicht stellte, er wolle, um seine Erziehung zu vervollkommnen, indem er sie in eines der ersten Häuser Europas verlege, Theodor einen Platz als Page von Madame bei Hofe vermitteln, einer Landsmännin, die in ihrer Gesellschaft gerne das heimische Idiom erklingen höre, hoffte Theodor nur eines: daß seine Mutter ihn nicht gehen lassen würde.
    Amalia selbst wußte nicht recht, was sie davon halten sollte, ihren Sohn nach Versailles zu verlieren, wenn sie sich auch eingestand, daß dies der einzige Weg war, die Keime, die sie in ihn gelegt zu haben hoffte, zum Blühen zu bringen. Nur hätte sie selbst sie eben gerne blühen sehen. Seit der Geburt ihres Sohnes war sie der begleitende Schatten, der Chronist und Hüter dieser Existenz gewesen, und sollte die ihr nun entrissen werden, was bliebe dann noch?
    Der Graf von Mortagne hatte, auch was das betraf, seine Pläne und Vorschläge und teilte sie Amalia eines Abends hinter verschlossenen Türen mit. Das Fenster des Nebenraumes allerdings war nicht geschlossen, und dort standen Theodor und seine Schwester und lauschten mit angehaltenem Atem, um mitzuhören, wie über ihre Zukunft zu Gericht gesessen wurde.
    Mortagnes Frage hatten sie nicht verstanden, Theodor drehte sich zu Amélie um, die die Achseln zuckte.
    Aber dann hörten sie das leise Nein ihrer Mutter und faßten sich an den Händen.
    Offenbar stand Mortagne auf, kniete sich vor den Kamin, ergriff den Blasebalg und pumpte. Die Flammen beantworteten das Schu-Schu des Luftstrahls wie ärgerlich zischende Schlangen.
    Die darauffolgenden Geräusche machten keinen rechten Sinn.
    Wieder war Amalias Stimme zu hören: Nein, Graf. Und wieder folgten Geräusche, über deren Bedeutung die
Geschwister sich mit fragenden Blicken zu verständigen suchten.
    Nach einer beunruhigenden Gesprächspause hörten sie von neuem die Stimme ihrer Mutter. Sie sagte nur ein Wort: Ach, dies aber in einem Ton, den sie noch nie an ihr gehört hatten.
    Sie sahen sie erst am folgenden Morgen wieder, als sie Theodor beim Frühstück mitteilte, Mortagne, der bereits abgereist sei, werde am morgigen Tag zurückkommen und ihn nach Versailles mitnehmen, zu seinem Besten und ihrem größten Stolz.
    Er versuchte, in ihre Augen zu tauchen, aber die Brunnenschächte waren abgedeckt.
    So war, ohne Vorwarnung, der Tag des Abschieds gekommen. Jetzt schien alles schnell gegangen zu sein, das ganze Leben. Das Haus, der Garten, alles wurde leicht unter seinem loslassenden Blick, alles zerstäubte wie in zu heller Sonne, und Theodor fragte sich, ob das, was seine Augen nicht mehr sähen, fortbestehen werde oder ob die Welt hinter jedem seiner Schritte zu Nichts zerfiel.
    Amélie, mit der er über den gestrigen Abend kein weiteres Wort verloren hatte, war im Garten, und ein Gefühl von Vergänglichkeit trieb ihn in ihre Arme. Er hielt sie fest, als sei sie die fliehende Zeit. Sie sah ihn überrascht und belustigt an.
    Mit einer kuriosen Mischung aus Verzweiflung und Neckerei sagte Theodor zu ihr: Laß uns noch einmal Königskinder spielen.
    Zu seinem Erstaunen willigte sie ein. Sie schritten untergehakt durch den Garten, schritten zum Tanz, begannen mit zierlichen Schritten und Schwüngen, wurden immer wilder, drehten sich schließlich wie die Derwische und lagen irgendwann betäubt im Gras.
    Als Theodor weitermachen wollte, hob Amélie abwehrend die Hand, es sei genug, sie fühle sich nicht ganz wohl.
Sofort ließ er von ihr ab. Im Gegensatz zu den hinterwäldlerischen Dorfmännern faszinierte ihn das Mondgeheimnis der Frauen. Er empfand eine nicht recht tief gedachte, aber dafür treu gehegte Hochachtung vor Amélie in dieser Periode, ein wenig wie gegenüber einer Stigmatisierten. Diese würdig ertragene unsichtbare Wunde, diese mysteriöse

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