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Der König Von Korsika

Titel: Der König Von Korsika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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als eine Art Geißeltierchen beschrieben? Gott hatte sie zu Flagellanten gemacht, ihnen die Gestalt von Büßern gegeben, die des Menschen Drang sühnten, alles ans Licht zu zerren, alles sehen zu wollen und zeigen zu müssen.
    Dieses Aufreißen seiner Haut und Sich-Vergießen aus einem Punkt war nicht nur ein Verlust an Reinheit, sondern vor allem die Aufdeckung eines Geheimnisses. Die Lösung war banal wie alle Lösungen, und halb, um sich selbst für seine fatale Neugierde zu bestrafen, halb in der Hoffnung, vielleicht doch noch etwas Zusätzliches bei der Sache entdecken zu können, begann er die Übung bald wieder. Aber es gab nichts weiter zu entdecken, außer daß der Körper enttäuschenderweise banale Genüsse sublimen Frustrationen vorzieht.
    De Broglie kam wieder auf die Spermatozoen zu sprechen und ihre Aufgabe bei der Begattung.
    Nun Baron, diese kleine Lusteruption, die Sie mittlerweile wohl erleben durften, ist eigentlich, bei Lichte betrachtet, für die Fortpflanzung nicht notwendig. Die Tiere kennen dergleichen offenbar nicht. Vielleicht ist es die menschliche Seele, die uns dafür empfänglich macht. Wir stehen also vor einem merkwürdigen Phänomen. Es scheint ganz, als sei die empfundene Wonne eine Art uns Menschen reservierter Dank der Natur fürs Perpetuieren der Gattung.
    Die Natur, entgegnete Theodor kühl, dankt in kleiner Münze.
    Er haßte seinen Lehrer seit dieser Geschichte, der andere wußte zuviel von ihm, hatte sein Leben in sündige Banalität
hinabgezogen, sein Anblick wurde unerträglich. Und da Theodor all seine inneren Konflikte, Ängste und Hoffnungen in Hunderten von immer wieder variierten, neu ansetzenden inneren Monologen und Dialogen austrug, flog ihm in einem dieser imaginären Gespräche plötzlich ein böser Satz zu, der sich in seinem Alltagsbewußtsein festhakte und dort wuchs wie ein Geschwür, bis Theodor eines Tages nicht mehr umhinkonnte, ihn laut auszusprechen, sei es um ihn loszuwerden, sei es um auszuprobieren, wie in der Wirklichkeit funktionierte, was in seinen Wachträumen schon dutzendmal geschehen war.
    Und eben weil er den Satz lautlos schon so oft und in so unterschiedlichen Betonungen ausgesprochen hatte, kam er ihm sehr glaubwürdig und überzeugend über die Lippen, als er ihn, zu seinen schulischen Erfolgen befragt, dem Grafen von Mortagne mit wohlabgewogen schockierter Stimme ins Ohr flüsterte. Dennoch war er froh, daß sein Gönner nur nickte und nicht noch einmal nachfragte.
    Nun war er also auch böse geworden, aber da die hermetische Blase der Unschuld, in der er existiert hatte, durch De Broglies Indiskretion (so Theodors Interpretation) zerplatzt war, und er sich im Stand der Erbsünde befand, machte es schon nachgerade nichts mehr aus.
    Am nächsten Morgen verabschiedete De Broglie sich bei Amalia. Dringende notarielle Angelegenheiten verlangten seine Anwesenheit in Dijon. Seinen Nachfolger werde der Graf in den nächsten Tagen schicken. Er warf einen melancholisch lächelnden Blick auf den kreidebleichen Theodor, der sich mühte, das Eis seiner Augen nicht schmelzen zu lassen.
    Au revoir, Baron. Je n’ai plus rien à vous apprendre.
    Theodor mußte feststellen, daß er nicht in der Lage war, ein Geheimnis männlich schweigend und finster einverstanden mit der eigenen Schlechtigkeit zu bewahren. Es war, als versuche er einen Deckel auf einen Topf mit kochendem
Wasser zu drücken. Keine vierundzwanzig Stunden nach De Broglies Abreise vertraute er sich, mit der Absicht, sich ihrem moralisch einwandfreien, aber von Liebe und Verständnis geprägten Urteil zu unterwerfen, seiner Schwester an.
    Was hast du Mortagne gesagt? fragte sie erschüttert nach.
    Du hast es schon richtig gehört, flüsterte Theodor zerknirscht, der die Worte nicht wiederholen mochte.
    Amélie sah ihn ernst an: Du enttäuschst mich, Theodor. Das hätte ich dir nicht zugetraut.
    Der Sünder erbebte wie über das böse Omen einer Wahrsagerin. Zugleich war jedoch mit dem Aussprechen des Tadels das Schlimmste vorüber, mit dem mutigen Anhören des Schuldspruches bereits ein Gutteil der Sühne abgeleistet und er der Vergebung nähergekommen.
    Amélie, bitte sag, daß alles wieder gut wird.
    Alles wird wieder gut, wenn du Mortagne die Wahrheit sagst und dich entschuldigst.
    Ja, das will ich tun, antwortete Theodor inbrünstig. Du aber wirst mich doch immer lieb behalten?
    Natürlich behalte ich dich lieb!
    Und ebenso natürlich sagte Theodor Mortagne kein Wort; er nahm es sich so

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